Mit einem Buch kann man lesend in die Ferne, ja sogar in magische Welten gelangen: Man purzelt mit Alice durchs Kaninchenloch ins Wunderland und fiebert mit Harry Potter im Hogwarts-Express der Ankunft in der Schule für Zauberei entgegen. Doch was würde wohl passieren, wenn man nicht nur liest, sondern einen Roman wie einen Reiseführer benutzt und sich für ein paar Tage nur von ihm leiten lässt? Vielleicht dreht man ein bisschen ab, lässt alles los, verliert sich im Anderswo?
Ein Ort, der zwar auf dieser Welt liegt, den Kopf aber viel weiter reisen lässt, ist Maienfeld, ein Dorf im Schweizer Kanton Graubünden. Hier beginnt der Pfad, auf dem Johanna Spyri einst ein Mädchen mit flammend roten Wangen in ihre Zukunft wandern ließ. Der Weg führte Heidi „durch grüne, baumreiche Fluren bis zum Fuße der Höhen“, durch „Heideland mit dem kurzen Gras und den kräftigen Bergkräutern“. Nach einer Stunde erreichte sie das Dörfli, in dem der Geißenpeter wohnte, der von hier aus jeden Morgen die Ziegen hoch zur Alm, zu Heidis neuem Zuhause, trieb. Der Heidi-Weg ist heute ab dem Bahnhof Maienfeld ausgeschildert; es spricht allerdings nichts dagegen, auch mal vom Pfad abzukommen, in Hütten zu schlafen, mit Bündner Nusstorte im Bauch über die Wiesen zu rollen und bis zum Wegdösen Ziegen zu zählen.
Ihnen ist nicht nach Bergwanderung? Dann folgen Sie doch dem Wohin nur fahren, darüber streiten dessen Eltern jedes Jahr. Und Nick fängt dann an zu weinen, weil er nicht wieder zur Oma will. In der Erzählung entscheidet deshalb Papa: „Wir fahren ans Mittelmeer.“ In eine Villa in Plage les Plins, kein Hotel und kein Hotelessen, Papa will die Taucherbrille einpacken. Nur leider, sagt Mama, schwimmen im Mittelmeer nicht genügend Fische. Und schon weint der kleine Nick wieder, weil Tauchen ohne Fische maximal albern ist. Seine Mama hat glücklicherweise bereits eine Alternative gebucht: ein Hotel auf der niederländischen Insel Vlieland, mit Blick aufs Meer. In der Nordsee, sagt sie, soll es jede Menge Fische geben. Den Weisheiten der Schöpfer Goscinny und Sempé zu folgen, ist gar nicht schwer. Sonnen Sie sich an einem Strand unter Pinien, oder halten Sie auf Vlieland nach Fischen Ausschau. Versuchen Sie nur nicht, den Urlaub perfekt zu machen, und fahren Sie um Himmels willen ans Meer!
Eine andere Idee wäre, diesen Sommer auf den Spuren von durch die Lausitz zu wandern. Otfried Preußler ließ seinen Romanhelden in Groß Partwitz aufbrechen, einem heute verschwundenen Ort, in dem es sich demnach schwer starten lässt. Weil dort Braunkohle abgebaut werden sollte, mussten die Bewohner 1970 umsiedeln. Aber Klein Partwitz gibt es noch, vielleicht beginnen Sie die Reise dort. Krabat wanderte weiter von Dorf zu Dorf, verlor sich im Hoyerswerder Forst, fand letztlich nach Schwarzkollm. Dort steht auch heute noch die Schwarze Mühle, in der Krabat als Lehrling begann. Die Mühle lässt sich besichtigen, es gibt Führungen, auch Ferienhäuser. Weiterwandern ist ebenfalls möglich, nach Wittichenau zum Beispiel, wo Krabat einen Ochsen auf dem Viehmarkt präsentierte. Oder nach Maukendorf, das er an einem freien Tag besuchte. Am besten immer auf den Spuren der Magie bleiben und schön Abstand von finsteren Müllern halten!
Einen einfachen Reisenden mögen 15 Millionen Touristen im Jahr von Venedig abschrecken, wer insgeheim einen Kleinganoven in sich trägt, den locken sie geradezu an – und der kann mit Cornelia Funkes losziehen. Eine konsequente Planung sieht in diesem Fall vor, allen Mitreisenden eine venezianische Maske aufzusetzen und sich wie Funkes Kinderbande durch die „Stadt des Mondes“ zu bewegen. Vielleicht ergibt sich ein Raubzug durch den Palazzo Pisani oder den Palazzo Contarini, vielleicht werden geheime Absprachen im Beichtstuhl der „Goldenen Höhle“ getroffen, der Basilica San Marco. Möglicherweise finden Sie sogar den Laden Barbarossas, in dem die Diebe ihre Beute in Bares umwandeln. Er soll in einer Gasse unweit des Markusdoms liegen, neben einer Pasticceria mit „Köstlichkeiten jeder Form und Größe“. Die können Sie auch besuchen, oder Sie gönnen sich ein Schokoeis in der Sonne, so wie die Kinderbande es auch tun würde.
Zuletzt etwas für alle, die richtig loslassen wollen. Wer Wolfgang Herrndorfs nachreisen möchte, für den darf es keine Route geben. Denn: „Landkarten sind für Muschis, sagte Tschick, und da hatte er logisch recht.“ Für diesen Roadtrip braucht es nur einen geklauten Lada, zwei Jungs und ein Ziel: die Walachei. Wo die genau liegt, wissen Maik und Tschick nicht, fürs Lada-Fahren sind sie definitiv zu jung, aber sie fahren einfach los. Raus aus Berlin, erst mal in Richtung Rahnsdorf und dann: Münze werfen. Kopf für rechts, Zahl für links. Weil sie der Zufall aber im Kreis führt und sie bald zum dritten Mal an einem Wegweiser in Richtung Markgrafpieske stehen, kommen sie auf die Idee, nur Orte anzufahren, die mit T oder M beginnen. Oder deren Entfernung in Kilometern eine Primzahl ist. Mittlerweile dürfte klar sein, wie man eine Reise plant: gar nicht. Am besten zu Hause starten, das Navi auslassen und sich an jeder Abzweigung wieder eine neue Regel überlegen. Nur zu, vertrauen Sie Ihrer Fantasie – und schicken Sie uns eine Postkarte aus Ihrer Walachei!