Mit diesem Raketen-Erfolg läutet Jeff Bezos ein neues Kapitel der Raumfahrt ein

Mit vier Jahren Verspätung ist sie endlich gestartet: die erste Großrakete „New Glenn“ des Amazon-Gründers und Milliardärs Jeff Bezos. Der Premierenflug in der Nacht zum Donnerstag (Ortszeit) läutet ein neues Kapitel in der Raumfahrt ein. Bei der Mission NG-1 erreichte die Oberstufe wie erhofft den Weltraum. Das war das Hauptziel der Mission.

Die Landung der Antriebsstufe auf einem Schiff scheiterte jedoch: Sie verfehlte bei ihrem Rückflug aus dem All das Landungsschiff Jacklin, das gut 600 Kilometer vor der Küste von Florida lag. „Wir haben die Stufe verloren“, sagte eine Sprecherin von Jeff Bezos Raumfahrtunternehmen Blue Origin. „Dennoch ist es ein großer Erfolg, weil wir den Orbit erreicht haben.“ Zunächst gab es keine Details, ob die Antriebsstufe in der Luft zerbrochen ist oder wo sie im Atlantik aufschlug.

Vor fast genau zehn Jahren machte der Tech-Unternehmer Elon Musk eine ähnliche Erfahrung. Damals kam es zu einer Bruchlandung seiner Falcon-Rakete beim ersten Landeversuch auf einer Meeresplattform. Es folgten mehrere Fehlschläge, bis im April 2016 die erste Musk-Rakete auf einer solchen sicher aufsetzte. Inzwischen hat das Manöver fast 400 Mal geklappt, während die Bezos-Rakete erst noch so zuverlässig werden muss.

Der Start vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral musste zuletzt mehrmals um ein paar Tage verschoben werden. Es gab diverse Probleme wie ungünstiges Wetter oder Technikschwierigkeiten. Zuletzt befand sich ein Boot unberechtigterweise in der Sicherheitszone. Auch in der Nacht zum Donnerstag musste der Countdown wiederholt unterbrochen werden. Aber gegen 02.03 Uhr stieg die knapp 100 Meter hohe Rakete, begleitet von Jubel im Kontrollzentrum, in den Nachthimmel auf.

Mit dem Erststart von Bezos Großrakete gibt es endlich einen privaten Rivalen für den mit Abstand weltweit führenden Raumfahrtkonzern SpaceX des Tech-Unternehmers Elon Musk. Nunmehr können die beiden Multimilliardäre ihren Konkurrenzkampf mit Großraketen austragen.

Für die Nasa geht nun der Plan auf, mit Musk und Bezos zwei konkurrierende private Raumfahrtenthusiasten zu haben, die mit ihren Raketen Satelliten in den Weltraum transportieren und Flüge zum Mond oder womöglich zum Mars umsetzen könnten. Beide „Space Boys“ haben den Auftrag, Vehikel für eine bemannte Mondlandung zu entwickeln. Auch die Militärs bekommen mit der New-Glenn-Rakete eine weitere Alternative für ihre Missionen.

Musk ist Taktgeber der Raumfahrtbranche

Musk ist Bezos bei der Raketenentwicklung aber um Jahre voraus. Zur Einordnung: Die New-Glenn-Rakete von Bezos ist mit 98 Meter Höhe und sieben Meter Durchmesser kleiner, etwa halb so leistungsstark und nicht komplett wiederverwendbar wie die weltgrößte Rakete Starship von Musk. Jüngst kündigte Musk an, dass seine Giga-Rakete mit künftig 123 Meter Höhe nochmals ein paar Meter größer werden soll. Beim nächsten Starship-Flug soll erstmals Nutzlast (Starlink-Test-Satelliten) im Orbit ausgesetzt werden.

Für Bezos bedeutet die NG-1-Mission die nächste Stufe seiner Raumfahrtaktivitäten. Im Alter von 36 Jahren gründete der inzwischen 61-jährige sein Raumfahrtunternehmen Blue Origin, oder „Team Blue“, wie es häufig genannt wird. Er pumpt Milliardenbeträge in seine Pläne.

Bislang flog in 28 Weltraum-Kurztrips nur die kleine Touristenrakete New Shepard. Mit 19 Meter Höhe würde diese Rakete in den Nutzlastraum von New Glenn passen.

Musk ist hingegen mit Abstand der Taktgeber und Antreiber der weltweiten Raumfahrtbranche. Seine Idee der Recyclingraketen zur Kostensenkung geht auf. Dieses Konzept mit Landungen auf Meeresplattformen kopiert Bezos bei seiner New-Glenn-Rakete, auch wenn der erste Versuch misslungen ist.

Für New Glenn ließ Jeff Bezos die Triebwerke (BE-4) selbst entwickeln – wie Elon Musk für seine Falcon- und Starship-Rakete. Angetrieben wird die New-Glenn-Rakete in der ersten Stufe mit Flüssiggas (LNG) plus Flüssigsauerstoff. Die zweite Stufe arbeitet mit Flüssigwasserstoff plus Sauerstoff. Musks Starship-Rakete nutzt Flüssigmethan als Brennstoff.

Von der Leistung rangiert die Rakete New Glenn von Bezos etwa auf dem Niveau der Heavy-Falcon-Rakete von Musk – und damit deutlich unter dessen Riesenrakete Starship.

Die Europäer liegen beim Thema Recycling-Raumfahrt mit wiederverwendbaren Raketen um Jahre zurück. Die nagelneue Ariane-6-Rakete basiert noch auf dem Wegwerfprinzip und Testmodelle wie Themis stecken noch in den Kinderschuhen. Erst in den 2030er-Jahren könnte Europa über wiederverwendbare Raketen verfügen.

Bezos muss sich über die Bruchlandung nicht grämen: Auch der erste Landeversuch von Musks Falcon-9-Rakete auf einer Meeresplattform endete am 10. Januar 2015 – also fast genau vor zehn Jahren – mit einer Bruchlandung. Es folgten mehrere Fehlschläge, bis im April 2016 die erste Musk-Rakete auf einer Meeres-Plattform sicher aufsetzte.

Im Unterschied zum Erstflug der Falcon-Heavy-Rakete von Musk, der 2018 dabei werbewirksam ein Tesla-Roadster-E-Auto in den Weltraum schickte, erscheint die NG-1-Nutzlast geradezu langweilig. Es wurde nichts abgetrennt, sondern eine Technik namens Pathfinder für künftige Missionen mit einem Satelliten-Transfervehikel (Blue Ring) erprobt.

Gerhard Hegmann schreibt für WELT über Rüstung, Luft- und Raumfahrt und Militär.

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