Mit diesem Deal rettet Tönnies die Bärchenwurst

Deutschlands größter Wursthersteller steigt als Investor bei seinem größten Konkurrenten ein. Die Premium Food Group, bis zum Jahreswechsel 2025 noch bekannt als Tönnies, hat eine Grundsatzvereinbarung mit dem wirtschaftlich angeschlagenen Wettbewerber The Family Butchers (TFB) geschlossen, melden die beiden Familienunternehmen. Danach übernimmt Tönnies dem Vernehmen nach knapp 49 Prozent der Anteile. Allerdings muss das Bundeskartellamt diesem Deal noch zustimmen.

TFB mit Sitz in Versmold im Kreis Gütersloh macht dabei keinen Hehl daraus, wie wichtig der Zusammenschluss für das Überleben des erst Ende 2019 durch die Fusion der Wursthersteller Kemper und Reinert gegründeten Unternehmens ist. Man befinde sich in „einer wirtschaftlich äußert herausfordernden Situation“ und mache mit dem Anteilsverkauf nun einen „entscheidenden Schritt zur Stabilisierung des Unternehmens“, heißt es in einer Mitteilung. „TFB sichert sich damit nicht nur langfristig den Zugriff auf Rohstoffe, sondern gewinnt zugleich die finanzielle Handlungsfähigkeit zurück, die für das stark angeschlagene Unternehmen existenzsichernd ist.“

TFB, bekannt vor allem für die sogenannte Bärchenwurst, eine speziell an Kinder gerichtete Mortadella oder Geflügelwurst wahlweise in Bärchenform oder mit Bärengesicht, ist aktuell noch Teil der InFamily Foods Holding, genau wie die beiden Sparten „The Plantly Butchers“ für vegane Wurstalternativen und „The Cultivated B“, wo an der industriellen Skalierung der zellulären Landwirtschaft gearbeitet wird.

Im Zuge der angestrebten Partnerschaft mit Tönnies wird TFB nun allerdings aus der Holding herausgelöst. Wolfgang Kühnl, einer von zwei geschäftsführenden Gesellschaftern, verbleibt dabei mit seinen Anteilen im Unternehmen. Hans-Ewald Reinert hingegen zieht sich „in bestem Einvernehmen“ zurück und gibt seine Beteiligung an die Premium Food Group ab. Reinert wird sich stattdessen auf das vegane Geschäft bei InFamily Foods konzentrieren und zudem die TFB-Marke Reinert-Bärchen strategisch weiterführen, heißt es in der Mitteilung.

Probleme hat The Family Butchers schon seit einigen Jahren. 2024 musste sogar ein Produktionsstandort geschlossen werden. Gleichzeitig hat sich das Unternehmen aus einzelnen Segmenten zurückgezogen, etwa dem Bratwurstbereich. Übrig sind jetzt nach eigenen Angaben noch vier Standorte mit insgesamt sieben Werken, eins davon in Rumänien. Der Umsatz lag 2023 bei rund 775 Millionen Euro, die Zahl der Mitarbeiter bei 2300. Hergestellt werden sowohl eigene Marken in den Bereichen Wurst und Schinken als auch Handelsmarken für Supermärkte und Discounter, zu finden zum einen im Selbstbedienungsregal und zum anderen an den Bedientheken.

Neben gestiegenen Kosten für Energie, Logistik und Verpackung behindert TFB vor allem der fehlende Zugriff auf Rohware. Denn anders als die zu Tönnies gehörende Zur Mühlen-Gruppe oder der in Besitz von Westfleisch befindliche Wettbewerber Gustoland haben die Ostwestfalen keine eigene Schlachtung und Zerlegung und leiden daher stärker unter volatilen Verfügbarkeiten und Preisen in Zeiten rückläufiger Schlachtzahlen. Durch den Deal mit Deutschlands größtem Schlachtkonzern vergrößert sich für TFB nun die Versorgungssicherheit. Wobei betont wird, dass weiterhin auch Fleisch von anderen Lieferanten bezogen wird. „Eine Exklusivität zugunsten der Premium Food Group ist nicht vorgesehen, sodass der offene Wettbewerb erhalten bleibt“, heißt es in der Mitteilung. TFB werde auch künftig eigenständig, uneingeschränkt und frei am Markt agieren.

Branchenexperten bewerten den Zusammenschluss positiv. „Dieses Bündnis schafft neue Perspektiven“, sagt Klaus Martin Fischer, Partner bei der Beratungsgesellschaft RSM Ebner Stolz, gegenüber WELT. „Allianzen stehen hoch im Kurs – so auch diese strategische Partnerschaft. Die Komplexität der Wertschöpfungskette nimmt weiter zu, bestehende Herausforderungen verschärfen sich.“ Noch allerdings handelt es sich nur um Absichtserklärungen. Denn der Deal steht unter dem Vorbehalt der kartellrechtlichen Prüfung sowie der üblichen Genehmigungen und Abschlussbedingungen, wie es in einem lediglich zwei Sätze umfassenden Statement der Premium Food Group heißt.

Und diese Vorwarnung überrascht nicht angesichts der Marktstellung beider Unternehmen. Noch dazu hat der Konzern zuletzt keine guten Erfahrungen mit dem Kartellamt gemacht. Erst vor wenigen Tagen haben die Bonner Wettbewerbshüter der Premium Food Group verboten, das deutsche Rindfleischgeschäft des niederländischen Konkurrenten Vion Food Group mit insgesamt vier Schlacht- und Zerlege- sowie zwei Häuteverarbeitungsbetrieben zu übernehmen. Dadurch hätte sich die Marktposition von Tönnies zum Nachteil der Landwirte und der verbleibenden kleineren Wettbewerber in den betroffenen Regionen bedenklich verstärkt, begründet Kartellamts-Präsident Andreas Mundt.

Kritik gab es dafür sowohl von der Politik als auch aus der Branche, die derzeit mitten in einem Strukturwandel steckt durch steigende Kosten, eine stetig verschärfte Regulierung und jahrelang rückläufige Verzehrzahlen für Fleisch und Wurst. Wobei sich der Abwärtstrend beim Konsum 2024 erstmals seit vielen Jahren nicht fortgesetzt hat. Mit 53,2 Kilogramm lag der Pro-Kopf-Verbrauch rund 300 Gramm höher als im Vorjahr, meldet das Statistische Bundesamt. Das Plus stammt dabei vor allem aus dem Bereich Geflügel, der Konsum von Schwein und Rind dagegen ist nahezu stagniert. Der Wert des produzierten Fleisches und der Wursterzeugnisse betrug laut der Statistikbehörde 44,3 Milliarden Euro.

Das Geschäft mit Ersatzprodukten, bei dem sowohl Tönnies‘ Zur Mühlen-Gruppe als auch die bisherige TFB-Schwesterfirma The Plantly Butchers mitmischen, sieht das Statistische Bundesamt demgegenüber bei rund 650 Millionen Euro. Im Schnitt verzehrt jeder Bundesbürger rein rechnerisch rund 1,5 Kilogramm Veggie-Burger, Tofuwurst und Seitanmortadella.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.