Mich nervt es doch auch

Wie war sie, die Welt vor der Erfindung des Smartphones? Ruhiger, entspannter? Wohin ging am Morgen der Blick als Erstes, wenn nicht aufs Handydisplay?

Und noch eine Frage, die sich viele stellen: Brauchen wir diese Welt vor dem Smartphone zurück? Müssen wir Social Media wieder loswerden oder zurückdrängen? Damit wir den Kopf wieder freibekommen? Oder auch nur, damit Jugendliche auf den Schulhöfen wieder miteinander statt mit ihren Handys spielen?

Viele Staaten schränken im Moment die Nutzung von Smartphones und sozialen Medien ein. Es ist der Versuch, die alte Normalität wiederherzustellen. Der Versuch, junge Menschen vor den Gefahren sozialer Medien zu schützen. Junge Menschen wie mich.

Bei all den Debatten, die es gerade gibt, denke ich manchmal daran zurück, wie mein Aufwachsen mit sozialen Medien war. Als ich mit zwölf aufs Gymnasium kam, mein erstes Smartphone erhielt – ein Samsung Galaxy J3 – und die Wirklichkeit für mich schlagartig eine andere war. In den Sommerferien zuvor hatte ich noch viel Zeit draußen verbracht. Hatte viel gelesen und mit Freunden gespielt. Dann, mit dem Smartphone, füllten TikTok und YouTube meine Nachmittage. Stunde um Stunde verflog, und was nur als kurze Erholung von Stress und Alltag gedacht war, als kleine Ablenkung, wurde zu einer Beschäftigung, die mehr und mehr meine Freizeit fraß. Mein Handy war immer dabei, ob auf dem Nachttisch oder in der Hosentasche. Vielleicht mein treuester Begleiter.

Als ich in die achte Klasse kam, änderte sich etwas. Das Handyverbot, das für die Unterstufe noch galt, wurde aufgehoben. Von nun an durften wir unsere Smartphones in den Pausen verwenden. Es war der Moment, auf den wir alle als Fünft-, Sechst- und Siebtklässler sehnsüchtig gewartet hatten. Endlich mussten wir uns in den Pausen nicht mehr auf den Toiletten treffen, um heimlich einen Blick auf unsere Handys zu werfen. Ganz offen saßen wir mit unseren Geräten auf dem Schulhof. Wir spielten kaum noch miteinander, wie wir es noch vor den Sommerferien getan hatten, unsere Aufmerksamkeit gehörte jetzt ganz unseren Handys.

Ich merkte mehr und mehr, wie mich diese Veränderung störte. Irgendwann begann ich die Schüler der Unterstufe zu beneiden. Wenn sie nicht auf dem Klo waren, spielten sie auf dem Schulhof Fangen oder Verstecken. Wie wir früher auch. Ich begann mir das Handyverbot zurückzuwünschen und dachte nun manchmal, dass sie schön gewesen sein muss, die Welt ohne Smartphones.

Zugleich war da dieses andere Gefühl: der Wunsch, im Kontakt zu bleiben, mit anderen, mit der Welt. Meine beste Freundin zog in eine andere Stadt, und wie hätte ich mit ihr in Verbindung bleiben können ohne Social Media? Die kurzen Videos, die sie aus ihrer neuen Heimat postete, waren für mich ein Tor in ihre Lebensrealität, das ich unmöglich schließen konnte, ohne die gemeinsame Freundschaft zu gefährden. Obwohl ich mir damals öfter wünschte, vor allem TikTok von meinem Handy zu löschen, habe ich es nicht getan. Um sozial zu sein, muss ich schließlich soziale Medien haben, oder?

Schließlich löschte ich TikTok dann doch, und meine Nachmittage waren auf einen Schlag leer. Die Bücher allerdings blieben mir fremd, ich fing nicht wieder an zu lesen. Die Lücke, die die App hinterließ, füllte nun YouTube. Die Videos wurden wieder länger, das Unbehagen aber blieb. Ich ließ mein Handy in anderen Räumen liegen, um Abstand davon zu bekommen. Ich fragte meine Eltern, ob sie mir eine kontrollierte Bildschirmzeit einrichten könnten. Eine Stunde am Tag konnte ich soziale Medien jetzt noch nutzen, bevor sie durch eine App gesperrt wurden. Ich nahm irgendwann wieder Bücher in die Hand. Ich las, doch ganz konnte ich die sozialen Medien nicht loswerden, sie begleiteten, sie verführten mich weiter. Und noch immer fühlte ich mich von ihnen verfolgt. Jeder Versuch, etwas daran zu ändern, resultierte darin, dass ich mich am Ende selbst austrickste.

Als die Coronapandemie begann, fielen sämtliche alltägliche Strukturen weg. Die Schule war online, die Boulderhalle, in der ich trainiert hatte, musste schließen. Die einzige Konstante war mein Smartphone. Doch schickte ich meinen Freunden keine Videos auf Instagram oder TikTok. Wir führten heimlich Telefongespräche während des Online-Unterrichts und nächtelange Skype-Calls, in denen wir mal redeten und lachten, manchmal aber auch einfach nur schwiegen und unseren jeweiligen Beschäftigungen nachgingen.

Als Corona vorbei war, ging ich für ein Jahr ins Ausland. Mein ganzes Umfeld dort kommunizierte über Instagram. Um sozial zu sein, brauchte ich hier soziale Medien. Ich hatte mir zwei Bücher mitgenommen, die ich beide nicht las. Ich habe lange nicht gelesen.

Heute verbringe ich weniger Zeit vor dem Bildschirm als damals mit zwölf, doch wohl fühle ich mich mit Instagram und Co. nach wie vor nicht. Ich lade mir Apps herunter, die helfen sollen, weniger Zeit am Handy zu verbringen. Wenn ich YouTube oder Instagram öffnen will, muss ich jetzt erst mal tief ein- und ausatmen. Warum möchtest du die App öffnen, fragt mich mein Handy und schlägt mir Alternativen vor: Ich könnte meditieren, Yoga machen oder einen Waldspaziergang. Wie schon damals fühlt sich der Versuch, sich aus dieser Welt zu lösen, wie eine Absage an meine sozialen Beziehungen an. Und immer noch bin ich hin- und hergerissen, fühle mich abhängig und doch frei in all dem, was mir das Smartphone ermöglicht. Ein Verbot wäre für mich nichts anderes als Bevormundung, das hätte ich auch als Schülerin so empfunden. Zugleich verstehe ich alle, die sich die Zeit, bevor es Smartphones und soziale Medien gab, zurückwünschen. Ein Leben, das sozial ist ohne soziale Medien.

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