Bevor Olaf Scholz (66, SPD) am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellte und verlor, da floss im Büro von Julia Klöckner (CDU) schon ab 9.30 Uhr der Sekt. Dazu gab es Croissants. Die Stimmung war ausgelassen, es wurden Erinnerungsfotos gemacht, viele kamen mit Blumen vorbei. Denn der 16. Dezember war der 52. Geburtstag von Gastgeberin Julia Klöckner.
Und somit von jener Frau, die – so hat es Unionsfraktionschef Friedrich Merz (69, CDU) eingefädelt – am kommenden Dienstag, nur 99 Tage später, ins zweithöchste deutsche Staatsamt gewählt werden soll. Klöckner hielt also eineinhalb Stunden lang Hof. Die „begnadete Selbstdarstellerin“ („Spiegel“) durfte sich schon fühlen wie die Queen des Parlaments, die sie ab kommender Woche sein wird.
Warum hatte Klöckner für den begehrten Posten die besten Karten?
Es ist Usus, dass die stärkste Fraktion den Präsidenten stellt, aber warum hatte Klöckner für den begehrten Posten die besten Karten?
CDU-Chef Friedrich Merz sagte BILD: „Wir kennen uns und ich schätze sie seit mindestens 20 Jahren.“
Tatsächlich ist es im Juli 20 Jahre her, da saß Julia Klöckner als Abgeordnete im Wahlkampf auf Einladung von Merz auf einer Bühne in Schmallenberg im Sauerland, Merz’ Heimat.
Klöckner galt als Nachwuchshoffnung der Merkel-CDU
Die Winzertochter aus Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) galt damals als eine der weiblichen Nachwuchshoffnungen der CDU von Angela Merkel.
Merz, von Merkel als Fraktionsvorsitzender abgesägt, hatte in der Partei den Ruf eines Manns von gestern, weil er mit Merkel nicht konnte. „Sie steht uns näher, als man denkt“, sagte Merz damals über seinen Gast. Klöckner eine Gefolgsfrau Merkels? Nicht ganz.
Die Theologin (Staatsexamen fürs Lehramt), die das Repräsentieren schon mit 22 als Weinkönigin lernte und den Job im Nachhinein eine „gute Vorbereitung auf die Politik“ nannte, stand Merz auch lebensweltlich nah. Beide sind keine Parteilinken. Beide sind katholisch geprägt. Beide sind Familienmenschen, auch wenn Klöckner (einmal geschieden, keine Kinder) das anders lebt als Merz (seit 1981 verheiratet, drei Kinder, sieben Enkel).
Klöckner ist die Queen ihrer Winzerfamilie (400 Jahre im Geschäft). Große Feste feiern sie gemeinsam auf dem Weingut an der Nahe, Klöckner hat einen Neffen und eine Nichte. Ihr Bruder Stephan, der sich um die Trauben kümmert, bietet sogar eine 2023er-Spätlese „Julia I.“ (8,90 Euro, edelsüß 11,87/Ltr.) an.
Friedrich Merz war jedenfalls bereits 2005 zum Gegenbesuch bei den Klöckners. Ihr Vater Aloys (gestorben 2018) schenkte den eigenen Wein aus. Bei ihm war Klöckner nach der Scheidung der Eltern (da stand sie kurz vor dem Abitur) geblieben.
Als Klöckner, die dann bald in Berlin im Team Merkel Karriere machte, als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2011 ins Rennen ging, engagierte sie Merz sogar öffentlichkeitswirksam als Berater, quasi als Schattenminister. Und nahm in Kauf, dass Merkel dies missfallen dürfte.
Als Merz in Bedrängnis kam, hielt Klöckner eisern zu ihm
Merz war damals ein ungeliebter Außenseiter. Und er ist einer, der alte Freunde nicht vergisst. Er kam 2018 zu ihrer Hochzeit, machte Klöckner zur CDU-Schatzmeisterin. Ihr Ziel, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zu werden, hatte sie in zwei Wahlen verfehlt – ihre größten Niederlagen.
Als Merz diesen Januar in Bedrängnis kam, nachdem er mit der AfD im Bundestag einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik durchboxen wollte, hielt Klöckner eisern zu ihm. Sie verlangte zudem in einem Brief an Kanzler Scholz die Abschiebung eines ausreisepflichtigen Afghanen, der in ihrem Wahlkreis für Unruhe sorgte.
Das alles stieß bei SPD, Linken und Grünen übel auf. Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang (31) moniert nun, fürs Präsidium werde eine Person gesucht, „die verbindet, statt zu spalten, die in aller Besonnenheit, aber umso entschiedener reagiert, je lauter die antidemokratischen Kräfte tönen“. Es seien „Zweifel angebracht, ob Julia Klöckner diese Anforderungen tatsächlich erfüllt“.
Tatsächlich eckte Klöckner, die das Herz manchmal auf der Zunge trägt, öfter an. Als Landwirtschaftsministerin (2018-2021) soll sie nicht die beliebteste Chefin gewesen sein. Auch die Bauern konnten nicht viel mit ihr anfangen. Ihre ungebremste Unterstützung für Merz in internen Unions-WhatsApp-Gruppen fanden einige Parteifreunde zu engagiert.
Klöckner, die auf Menschen zugehen kann, dürfte aber gut darin sein, auch Kritiker in ihrem künftigen Büro auf der Präsidialebene des Reichstags um den Finger zu wickeln. Besonders beliebt sind bei ihr die Termine ab 17 Uhr. Dann bietet sie Gästen immer ein Gläschen aus ihrem Weinkühlschrank an.