Menschen auf der Suche

Truman Capote behauptete, ihre Augen seien so blau gewesen
wie ein Präriemorgen, er habe mit ihr Tee getrunken. Vielleicht hat er
Letzteres aber auch nur auf seinem Sofa geträumt. Fest steht jedoch, dass Willa Cather neben Turgenjew, Maupassant und Dickens zu den großen Vorbildern des
US-amerikanischen Schriftstellers Capote zählte. In seinem Schlafzimmer soll
sogar ein Bild von ihr gehangen haben. Willa Cather, im Jahr 1873 geboren, hatte sich mit Romanen wie
und längst einen Namen gemacht, als der
ein halbes Jahrhundert jüngere Truman Capote sie anzuhimmeln begann (Cather starb im
Jahr 1947, da war Capote gerade 23 Jahre alt).

Zweifellos hat Cather große Romane geschrieben. Aber
auch ihre Kurzgeschichten, von denen einige im Band
nun erstmals auf Deutsch vorliegen, sind atmosphärisch so dicht und detailliert
gearbeitet, dass man nach der Lektüre aus einem Roman aufzutauchen scheint. In
ihren Erzählungen leuchtet Cather Episoden im Leben von Menschen aus, die alle
mal mehr, mal weniger zielstrebig auf der Suche sind; weniger nach dem Glück,
vielmehr nach innerer Freiheit und Selbstbestimmung oder einfach nur nach Ruhe.

Sie leben wie Henry Grenfell in der Erzählung ein recht gesichertes Leben, aber eine innere Stimme sagt
ihnen, dass etwas nicht stimmt. Der Geschäftsmann Grenfell flüchtet daher in
sein Sommerhaus auf eine einsame Insel und fühlt sich beim Anblick einer alten,
vom Blitz getroffenen Fichte, die er liebevoll Großvater nennt, mehr belebt als
beim Anblick seiner Familie. „Also, Großvater! Du hältst dich sehr wacker, das
muss ich sagen. Kompliment! Das Wasser an deinem Abhang hier läuft gut ab,
nicht wahr?“ Sicher und glücklich läuft Grenfell durch den dunklen,
märchenhaft anmutenden Wald, während er in seinem Leben längst vom Weg
abgekommen ist.

Cathers Naturbeschreibungen suchen ihresgleichen. Das wird
sofort in der ersten Erzählung deutlich, in der
sich eine Gruppe von Jungen zum nächtlichen Lagerfeuer auf einer Sandbank im
Fluss trifft: „Wir lehnten uns zurück und sahen nachdenklich in die dunkle
Hülle, die die Welt umgab. Das Wasser gurgelte inzwischen lauter. Wir hatten
nachts oft einen rebellischen, klagenden Ton vernommen, so ganz anders als das
fröhliche Glucksen während des Tages, eher die Stimme eines viel tieferen und
kraftvolleren Stroms. Unser Wasser verfügte stets über diese beiden Stimmungen:
die eine von sonniger Gefälligkeit, die andere von untröstlichem,
leidenschaftlichem Bedauern.“ Der Erzähler, der sich zwanzig Jahre später an
diese nächtlichen Feuer erinnert, weiß längst, dass die sonnige Gefälligkeit
vom Bedauern fortgespült wurde. Es ist vor allem diese Erzählung, die in ihrer
Wehmütigkeit noch lange nachklingt. Die Träume der Jungen erfüllen sich nicht; stattdessen
fügen sich ihre Leben in eine triste Gewöhnlichkeit.

Auch die junge, hübsche Mrs. Ebbling, in die sich der
Erzähler in auf einer Schiffsreise verliebt,
gesteht ihrem Verehrer: „Mir behagt die Wirklichkeit ebenso wenig wie jedem
anderen, aber ich erkenne sie an.“ Die Dialoge in dieser platonischen Liebesgeschichte
kommen zuweilen recht kitschig daher und schwimmen im Text wie die Gischt auf
dem Atlantik. Sie entfalten aber ihre ganze Kraft, wenn der Erzähler viele Jahre
später den Ozean gegen die trüben Wässerchen der Zivilisation eingetauscht hat und
vom Tod Mrs. Ebblings erfährt: „Im Dämmerlicht eines nassen Tages im März, an dem
dunkles Wasser in die Abwasserkanäle floss und sich der Washington Square von einer
Kruste schmutzigen Schnees freispülte, brachte mir meine Haushälterin einen feuchten
Brief mit einem verschmierten fremden Poststempel.“

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