Mehr Geld, aber anders verteilt – Die kontroversen Forderungen für Europas Bauern

Vor wenigen Monaten protestierten Tausende Bauern in Brüssel. Sie zündeten Reifen an und kippten Gülle auf die Straße. Einige durchbrachen mit ihren Traktoren sogar die Barrieren der Polizei. Am Mittwoch nun zeigte all das Wirkung. Eine Runde aus Experten überreichte Ursula von der Leyen ein 110 Seiten langes Dokument. Darin wird nichts weniger als der Umbau der europäischen Agrarpolitik gefordert. Und die Präsidentin der EU-Kommission schien offen dafür.

„Kaum ein Sektor ist für unseren Kontinent so wichtig wie die Landwirtschaft“, sagte von der Leyen. „Aber unsere Bauern stehen vor vielen Herausforderungen.“ Sie nannte den globalen Wettbewerb und die Folgen des Klimawandels, etwa Dürren und Fluten. Man werde mehr tun, so von der Leyen, um Europas Höfe zu schützen. Das ist eine zentrale Forderung konservativer Politiker, die nach der Europawahl in Brüssel den Ton angeben.

Im September 2023 hatte die Kommissionschefin einen – wie es im EU-Jargon heißt – Strategischen Dialog ins Leben gerufen. 29 Organisationen von der Bauernlobby über Lebensmittelkonzerne bis zu Greenpeace diskutierten monatelang zur Zukunft der Landwirtschaft. Es gab mehr als 100 Treffen, das letzte dauerte 38 Stunden. Die Empfehlungen der Experten will von der Leyen bald in Gesetzesvorhaben einfließen lassen.

Brüssel möchte die gemeinsame Agrarpolitik reformieren, das ist eines der ältesten Projekte der EU, ein zentrales Element der Integration. Seit den 1960er-Jahren erhalten die Landwirte auf dem Kontinent Subventionen. Und bis heute ist das der zweitgrößte Posten im europäischen Budget, nach dem Kohäsionsfonds, also dem Fördertopf für ärmere Regionen. Zwischen 2021 und 2027 sollen 420 Milliarden Euro in den Agrarsektor fließen.

Nach dem Willen der Expertenrunde, geleitet von dem deutschen Wissenschaftler Peter Strohschneider, soll sich einiges ändern. Derzeit erhalten die Bauern Direktzahlungen, mindestens 156 Euro je Hektar. Es wäre dem Bericht zufolge besser, wenn jene Landwirte Hilfe bekämen, die es nötig haben oder sich besonders stark für Umweltschutz und Tierwohl einsetzen. Dafür sei allerdings eine „substanzielle“ Aufstockung des Agrarbudgets erforderlich. Mehr Geld, das scheint in Brüssel als beste Lösung für die Probleme der Bauern zu gelten.

Zustimmung von den Konservativen, Skepsis bei Grünen

Aber Geld ist ein heikles Thema. Im vergangenen Jahr wollte die EU ihr Budget um 66 Milliarden Euro erhöhen, etwa um Hilfen für die Ukraine und die Asylpolitik zu finanzieren – was zu einem monatelangen Streit mit den Hauptstädten führte. Vielleicht jedoch sind die nationalen Regierungen bei den Landwirten großzügiger. Schließlich setzen die wiederkehrenden Proteste sie unter Druck.

Von der Leyen sprach am Mittwoch im Berlaymont-Gebäude, in dem die Kommission ihren Sitz hat – und vor dem sich Bauern Anfang des Jahres Straßenkämpfe mit belgischen Polizisten lieferten. Was sie sagte, stößt bei konservativen Politikern in Brüssel auf Zustimmung, bei Grünen und Sozialdemokraten auf Skepsis.

„Die Realität ist, dass einige der Empfehlungen bisher von der Kommission und der EVP von Ursula von der Leyen im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments abgelehnt wurden“, sagt Maria Noichl, Europaabgeordnete der SPD. Als Beispiel nennt sie die Umgestaltung der Direktzahlungen. Der CDU-Abgeordnete Norbert Lins meint: „Gesonderte Gelder für die Landwirtschaft für die Herausforderungen der Zukunft sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.“

Die Expertenrunde um Strohschneider stellte eine weitere kontroverse Forderung auf: Die EU, meinte sie, solle die Interessen der Landwirte stärker bei Gesprächen mit anderen Staaten über Freihandelsabkommen vertreten. Derzeit liegt zum Beispiel ein Deal mit der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur, der Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und Bolivien angehören, auf Eis. Denn einige EU-Mitglieder fürchten, dass billige Agrarprodukte aus Südamerika Europa überfluten könnten. Die 29 Organisationen, die an dem Strategischen Dialog teilnahmen, teilen die Sorge offenbar. In einfachen Worten lautet ihre Botschaft: Bauern vor Freihandel.

Und was sagen die Fachleute zur Klimapolitik der EU, die ein Auslöser der jüngsten Bauernproteste war? Sie plädieren dafür, dass die Landwirtschaft ihren CO₂-Ausstoß senkt, so wie es viele andere Industrien auch tun. Die Bauern waren bisher nicht betroffen. Aber von der Idee, dass Höfe am europäischen Emissionshandel teilnehmen, also wie zum Beispiel ein Energieunternehmen Verschmutzungsrechte kaufen müssen, hält die Gruppe wenig. Die Diskussion darüber sei „verfrüht“. Anders formuliert: Ein bisschen Klimaschutz für den Agrarsektor ist okay. Aber bitte nicht zu viel.

Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU.