ZEIT ONLINE: Herr Pörksen, worüber
denken Sie gerade nach?
Bernhard Pörksen: Ich denke darüber
nach, wie sich die Debattenkultur verbessern lässt, wenn sich doch die
Rahmenbedingungen des Diskurses zunehmend verschlechtern. Und wie man in diesen
gereizten Zeiten selbst behutsam zu formulieren vermag, leise, vorsichtig, ohne
grellen Alarmismus, ohne missionarischen Anspruch, ohne die Verlockung leerer
Hoffnungen und idealistischer Versprechungen.
ZEIT ONLINE: Warum ist der Diskurs oft
so hitzig, manchmal sogar toxisch?
Pörksen: Es gibt ein neuartiges
Zusammenspiel von extremen Ereignis- und Vernetzungseffekten. Zum einen ist da
die dramatische Krisenverdichtung: Kriegsangst in Europa, die Erderhitzung, der
Aufstieg einer populistischen Internationalen, die Erosion von Demokratien. Zum
anderen erreicht uns das Krisen-Tremolo der Gegenwart in nie gekannter Unmittelbarkeit
auf allen Kommunikationskanälen. Und schließlich wird die Grammatik der
Kommunikation im Silicon Valley neu geschrieben – auch das verändert den
Diskurs.
ZEIT ONLINE: Inwiefern?
Pörksen: Wir wissen: Was
emotionalisiert, funktioniert. Studien zeigen: Ein Facebook-Post wird 20
Prozent häufiger gelikt, wenn er aufwühlt. Ein Post auf X erhält mehr
Aufmerksamkeit, wenn er provoziert. Die Tendenz in Richtung des Hypes und der
plötzlich aufschäumenden Erregung nimmt nachweislich zu. All das sind
Fehlanreize, die zur allmählichen Überhitzung des Kommunikationsklimas
beitragen.
ZEIT ONLINE: Und Populisten heizen all
dies gezielt an.
Pörksen: Genau. Während
Tech-Milliardäre die Vertriebskanäle und die digitale Infrastruktur
kontrollieren, nach Belieben Faktenchecks abschaffen, in maximaler
Schamlosigkeit ihre eigene politische Agenda befördern. Das ist das Paradox der
aktuellen Medienwirklichkeit – Öffnung bei gleichzeitiger Schließung und
totaler Vermachtung. Einerseits kann heute jeder publizieren, wunderbar!
Andererseits wird der digitale Kommunikationsraum von Tech-Oligarchen regiert,
die von publizistischer Verantwortung keinen Schimmer haben.
ZEIT ONLINE: Zum Beispiel von Elon Musk.
Pörksen: Elon Musk ist ein
Paradebeispiel für dieses Paradox. Er kauft Twitter für 44 Milliarden Dollar,
zwingt – bei mehr als 200 Millionen Followern – seine Ingenieure, die eigenen
Desinformations-Postings bevorzugt in die Timeline der Plattformgemeinschaft hineinzudrücken,
lässt antisemitische und rassistische Propaganda nach Belieben stehen. Und ruft
gleichzeitig im Cyber-Hippie-Jargon – – das neue
Zeitalter des basisdemokratischen Graswurzeljournalismus aus. Das Kuriosum: Der
neue Autoritarismus spricht die Sprache der Anti-Autoritären.
ZEIT ONLINE: Es scheint sogar zu
funktionieren.
Pörksen: Zumindest in manchen Milieus,
aber ich will, bevor ich nun selbst allzu pessimistisch und alarmistisch klinge,
doch eines klarstellen: Ja, wir erleben Hass und Propaganda, manchmal auch
eine betulich wirkende Hypersensibilität, aber gleichzeitig jeden Tag auch respektvolle
Dialoge. Sie finden nur kaum Beachtung in den Medien. Die Art, wie in
Universitäten, Redaktionen und am Familientisch diskutiert wird, zeigt: Der
gute Dialog existiert noch. Und ganz grundsätzlich: Das dystopische Denken
erscheint mir als ein Irrweg, als Entmutigung von Engagierten, die im
Extremfall zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung missrät – und all jene
hemmt, die sich noch um eine lebendige Debattenkultur bemühen.
ZEIT ONLINE: In Ihrem aktuellen Buch
entwerfen Sie eine „Kunst, sich der Welt zu öffnen“. Wie sieht guter Dialog
aus?
Pörksen: Alle Beteiligten verlassen die
Ruhebank fester Wahrheiten und Gewissheiten, bewegen sich aufeinander zu,
manchmal führt die eine, manchmal der andere, geleitet von dem Credo, dass die
Wahrheit zu zweit beginnt. Der Dialog ist ein Tanz des Denkens. Existiert ein Patentrezept?
Das gibt es nicht. Eine Weltformel zur Rettung von Dialog und Diskurs? Eine
Illusion. Ich will mit meinem Buch im Ringen um eine andere Ernsthaftigkeit
raus aus der Kuschel- und Ratgeber-Ecke, weg von den Psychotipps, dem
Rezept-Denken, den vermeintlich schnellen Lösungen. Der Gedanke, den ich seit
Jahren mit meinem Freund und Kollegen, dem Psychologen Friedemann Schulz von
Thun, verfolge: Kann die Kommunikationspsychologie dabei helfen, die
öffentliche Debatte zu verbessern?
ZEIT ONLINE: Und?
Pörksen: Die Antwort: Sie kann. Sie regt
dazu an, Person und Position zu trennen, wenn es zu Konflikten kommt. Sie macht
klar, wie wichtig ein respektvolles Kommunikationsklima ist, warum die
pauschale Abwertung so verheerend sein kann. Und sie kennt ihre eigenen Modelle
und Methoden, um die Klärungsarbeit voranzutreiben. Allerdings: Diese Methoden
sind für die Mikroebene entwickelt worden – für verbiesterte Paare,
überforderte Manager, verstrittene Teams.
ZEIT ONLINE: Also eine Art
Gruppentherapie für die Demokratie?
Pörksen: Um Himmels willen, nein.
ZEIT ONLINE: Was dann?
Pörksen: Wir sind da, hoffentlich,
skrupulöser, stärker Suchende. Es geht um ein Experiment des Denkens, geleitet
von der Einsicht, dass das gelingende Miteinander-Reden und Einander-Zuhören in
diesen angespannten Zeiten schwieriger und wichtiger wird – und gleichzeitig
effektiver werden muss.
ZEIT ONLINE: Haben Sie ein Beispiel?
Pörksen: Wir wissen aus der
Kommunikationspsychologie: Entscheidend ist oft nicht, was jemand sagt, sondern
wer es sagt. Das Prinzip des vertrauenswürdigen Botschafters funktioniert. Nehmen
wir Klimakommunikation: Wenn der neunjährige Elias, begeisterter
Fridays-for-Future-Anhänger, seinen Großeltern beim Frühstück erklärt, warum
der dritte Golfurlaub in Südafrika keine gute Idee ist, dann hören sie zu.
Warum? Weil sie ihn lieben. Das ist kapillare Beeinflussung – ein Prinzip, von
dem ich nicht sicher bin, ob die Fridays-for-Future-Bewegung es bewusst
reflektiert hat. Oder nehmen wir Impfkommunikation: Karl Lauterbach überzeugt
keine Anthroposophen. Aber wenn der anthroposophische Star-Arzt, hoch über
Stuttgart, seine Position entwickelt, dann erreicht er seine Szene.