„Man weiß als Ersthelfer einfach nicht, was auf einen zukommt“

Diese Woche hat Monika König mit ihren Rettungskollegen in den USA telefoniert und ihnen alles Gute für den Einsatz beim Hurrikan Milton gewünscht, der gerade in Florida wütet. Die 33-Jährige kennt die Lage der US-Ersthelfer nur zu gut. Von 2020 bis 2023 hat sie für das Rote Kreuz als sogenannte Disaster-Program-Managerin in den USA gearbeitet. Zu ihren Einsatzgebieten zählten Hurrikans, Tornados, Waldbrände und andere Katastrophen.

Im Interview mit WELT berichtet sie, welche Erfahrungen sie aus ihrer Zeit in den USA mit nach Deutschland genommen hat, warum der Katastrophenschutz dieser beiden Länder kaum zu vergleichen ist – und was jetzt auf die Retter in Florida zukommt.

WELT: Frau König, was genau war Ihre Aufgabe bei Katastropheneinsätzen wie etwa bei einem Hurrikan?

Monika König: Im Gegensatz zu Deutschland ist bei Katastrophen in den USA nicht der Rettungsdienst zuständig. Die Rettung wird von der US-Feuerwehr organisiert. Als Rotes Kreuz haben wir also nicht direkt Menschen aus ihren Häusern oder den betroffenen Gebieten gerettet. Wir haben in sicheren Gebieten Unterkünfte für die Geflüchteten bereitgestellt und sie dort sowohl medizinisch als auch mit Kleidern mitversorgt.

WELT: Vor welchen Aufgaben stehen die Ersthelfer in Florida gerade?

König: Die Vorbereitungen der Ersthelfer starten schon mit der Ankündigung eines Hurrikans. Das Problem ist, dass man oft Stunden vor dem Eintreffen noch nicht weiß, in welcher Stärke der Sturm kommt und welche Schneise er nimmt. Ich habe Einsätze erlebt, wo wie durch ein Wunder kein einziges Haus beschädigt worden ist. Bei einem Einsatz in Westtexas bin ich hingegen in einer staubigen Gegend gestanden, die vor dem Waldfeuer noch eine Kleinstadt war. Man weiß als Ersthelfer einfach nicht, was auf einen zukommt. Die Einsätze enden auch nicht mit dem Ablaufen des Hurrikans. Wir sind noch Wochen nach der Katastrophe zu den betroffenen Menschen gefahren und haben sie unterstützt. Besonders US-Bürger, die keine Hausratsversicherung hatten, sind dabei auf die Hilfe von Institutionen wie dem Roten Kreuz oder kirchlichen Einrichtungen angewiesen.

WELT: Heute arbeiten Sie als Katastrophenreferentin für das Rote Kreuz in Deutschland. Welche maßgeblichen Unterschiede bestehen zwischen dem Katastrophenschutz in den USA und dem in Deutschland?

König: Die Systeme unterscheiden sich, wie gesagt, von der Zuständigkeit der einzelnen Organisationen. Der markanteste Unterschied ist aber die Häufigkeit, mit der solche katastrophalen Naturereignisse in den USA eintreten. Oft folgt – wie ja auch momentan – ein Hurrikan auf den nächsten. Hinzu kommen regional unterschiedlich ausgeprägte Katastrophen wie Waldbrände, Tornados, Blizzards oder Erdbeben. Aber auch eine menschengemachte Katastrophe tritt in den USA bundesweit sehr häufig auf: Amokläufe mit Schusswaffen.

WELT: Was können deutsche Katastrophenhelfer von den USA lernen?

König: Die Digitalisierung im Katastrophenschutz ist in den USA viel weiter fortgeschritten als hierzulande. Das beginnt schon bei der Ausbildung. So kann man sich in den USA sehr niedrigschwellig per Online-Videos und -Tests zu einem Ersthelfer ausbilden lassen. Auch die Ausstattung der Helfer ist in den USA weit fortgeschritten.

Als wir nach den Hurrikans ins Katastrophengebiet gereist sind, haben wir die beschädigten Häuser der Betroffenen einfach per App fotografiert. So konnten schnell Schadenssummen ermittelt werden und es wussten gleich mehrere Stellen, wie groß der Hilfsbedarf einzelner Menschen war.

WELT: Welche Nachteile hat der Katastrophenschutz in den USA im Gegensatz zu Deutschland?

König: Die Finanzierung der Rettungsorganisationen für die einzelnen Großeinsätze hängt oft an Medienkampagnen. Das funktioniert zwar in der Regel sehr gut. Allerdings darf das damit eingesammelte Geld immer nur für eine konkrete Katastrophe ausgegeben werden. Aber auch in Deutschland ist die Finanzierung für den Katastrophenschutz meines Erachtens zu knapp.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit den Schwerpunkten Gesundheit und Bauwirtschaft.