Ein gerade gegründetes Start-up-Unternehmen erfolgreich durch eine Pandemie zu steuern, das war per se schon eine Leistung. Aber Lena Weirauch und ihr Team wollen sich damit nicht begnügen. Aiomatic, gegründet von Weirauch und zwei ihrer Freunde im Jahr 2020, wächst seither kontinuierlich. „Zum Ende dieses Jahres arbeiten hier 30 Menschen“, sagt Weirauch, Geschäftsführerin des Unternehmens, in einem Konferenzraum von Aiomatic. „Ich glaube, dass der wachsende Kostendruck in der Industrie die Nachfrage nach unserem Produkt verstärkt.“
Ausfallzeiten an großen Maschinen und Anlagen seien für Unternehmen aus der Industrie, Energieversorgung oder aus der kritischen Infrastruktur „immer weniger tragbar. Wir arbeiten dort, wo Ausfälle von Maschinen und Anlagen richtig teuer sind.“ Aiomatic stellt Software für Anwendungen der vorausschauenden Wartung her, der „Predictive Maintenance“. Grundsätzlich werden die meisten Maschinen und Anlagen von Sensoren überwacht und gesteuert. Aber mithilfe spezieller Software lassen sich Unregelmäßigkeiten, mögliche Schäden oder notwendige Reparaturen viel früher erkennen.
„Wir brauchen zwei Wochen, um unsere Software an einer Maschine oder Anlage zu implementieren“, sagt die Diplom-Psychologin Weirauch, die vor der Gründung ihres Unternehmens unter anderem in der Luftfahrtbranche gearbeitet hat. „Die Maschinen, die wir betreuen, liefern uns permanent Daten, und wir analysieren sie in einer immer weiter verfeinerten Form. Über die Zeit werden die Ergebnisse immer besser, weil unsere Software immer besser versteht, wie die Maschine funktioniert.“
Vor einiger Zeit zog Aiomatic vom Gründungssitz an der Elbstraße in Altona in neue Firmenräume in der Kleinen Johannnisstraße, ins traditionsreiche Kontorviertel der Hamburger Innenstadt. Dort konnte Aiomatic den Mietvertrag und die Inneneinrichtung eines gescheiterten Finanz-Start-ups günstig übernehmen. Die Referenzliste von Aiomatic wächst. Canyon Bikes aus der Fahrradindustrie zählt dazu, Nitto aus der Verpackungsindustrie oder Sefe aus der Energiebranche, aber auch bekanntere deutsche Unternehmen aus verschiedenen Branchen, deren Name Aiomatic aus Wettbewerbsgründen nicht preisgeben darf.
Gewinn macht Aiomatic bislang nicht, finanziert wird es von Investoren wie den Risikokapitalgebern Haufe Group Ventures, 4Tree Capital und dem Innovationsstarter Fonds Hamburg, zudem durch den Pumpenhersteller KBS als strategischem Partner. „Wir expandieren stark und machen deshalb derzeit keinen Gewinn. Wir können das steuern und bei geringerem Wachstum vermutlich profitabel arbeiten“, sagt Weirauch. „Aber das Momentum für Wachstum ist jetzt auf unserer Seite, das müssen wir nutzen.“
Viel Arbeit hat Weirauch schon jetzt, im Unternehmen, als Referentin bei Kongressen und mit ihrer Promotion an der Universität Bern im Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie. Neuerdings arbeitet sie zudem ehrenamtlich für die Handelskammer Hamburg. Derzeit ist die 29-Jährige das jüngste Mitglied im neuen Kammerplenum. Als sogenanntes kooptiertes Mitglied wurde sie bei den Plenarwahlen im Frühjahr nicht direkt gewählt, sondern anschließend von der Kammer-Vizepräses Kathrin Haug vorgeschlagen. „Die Arbeit im Handelskammer-Plenum ist natürlich zusätzliche Arbeit, das muss man sich als Start-up-Unternehmerin gut überlegen“, sagt sie. „Aber man muss sich eben auch einbringen und der Gesellschaft etwas zurückgeben.“
Aus Sicht des Kammerpräsidiums ist solches Engagement unverzichtbar, um die Interessen der Hamburger Wirtschaft auf der Höhe der Zeit vertreten zu können. Im Jahr 2023 wurden 21.622 Unternehmen in Hamburg neu gegründet, sie zählen zu den insgesamt rund 180.000 Unternehmen, die die Handelskammer Hamburg vertritt. Für „Start-up-Unternehmen“ gibt es eine Reihe von Kriterien, mit denen man sie von anderen Neugründungen unterscheidet. Die sind allerdings nicht besonders trennscharf. In der Definition des Deutschen Start-up-Verbandes heißt es: „Der Begriff ,Start-up‘ kennzeichnet junge Unternehmen mit innovativen und skalierbaren Produkten, Dienstleistungen, Geschäftsmodellen oder Technologien.“ Zudem müsse das Unternehmen jünger als zehn Jahre sein.
Im Jahr 2023 wurden in Hamburg 158 Start-ups neu gegründet. Damit lag die Hansestadt auf Rang zwei aller Bundesländer, gemessen an den Start-up-Neugründungen je 100.000 Einwohner. „Die Unterstützung von Start-ups in Hamburg liegt in der DNA der Handelskammer Hamburg und ist zentraler Bestandteil unserer Standortstrategie Hamburg 2040: Wie wollen wir künftig leben und wovon?’“, sagt Handelskammer-Präses Norbert Aust. „Zahlreiche Gründerinnen, Gründer und innovative Unternehmen engagieren sich in der Handelskammer und bringen entscheidende Zukunftsthemen wie neue Mobilität, Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz in unsere Arbeit ein.“
Hamburg hat das vermutlich stärkste Unternehmensumfeld aller deutschen Städte, bedingt durch die Vielfalt der Branchen und die Mischung von alten und jungen Firmen. Ein Selbstläufer ist die Unterstützung für Unternehmensgründer trotzdem nicht. „Ich setze mich in der Handelskammer zum Beispiel für eine bessere Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft in Hamburg ein und für die bessere Finanzierung von Start-up-Unternehmen“, sagt Weirauch. „Für den Wirtschaftsstandort Hamburg ist gerade die Unterstützung kleinerer, neu gegründeter Unternehmen super-wichtig.“
In der Handelskammer gehe es auch um die grundsätzliche Frage, wie wandlungsfähig die Wirtschaft sein muss – angesichts immer schnellerer Veränderungen: „Die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer spüren und wissen ja, dass sich in Deutschland vieles verändern muss“, sagt Weirauch. „Und die Handelskammern sind ein sehr wichtiges Forum, um bei dieser Transformation die Interessen der Wirtschaft zu formulieren und zu bündeln.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter der WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Über die Neuaufstellung der Handelskammer Hamburg während der vergangenen Jahre hat er in zahlreichen Artikeln berichtet.