„Man kann doch nicht zulassen, dass die Politik so ignorant über das Thema schwafelt“

DIE ZEIT: Günter Rohrbach, als Fernsehspielchef des größten ARD-Senders WDR waren Sie eine prägende Gestalt des deutschen Fernsehens. Heute schimpfen alle über das Fernsehen.

Günter Rohrbach: Das war schon immer so. Nur hat man sich früher über die Inhalte des Fernsehens aufgeregt, nicht über sein mangelndes Niveau. Und auch nicht über seine Kosten.

ZEIT: Zu Ihren Inhalten gehörten Filme von Rainer Werner Fassbinder, Edgar Reitz, Margarethe von Trotta, Rosa von Praunheim, Wim Wenders. Sie haben diese Regisseure und Regisseurinnen zum Fernsehen geholt und mit ihnen Kinogeschichte geschrieben …

Rohrbach: Ich habe das nicht alleine gemacht, sondern mit einer Gruppe von sorgfältig ausgesuchten, klugen Redakteuren. Allerdings gab es darüber Auseinandersetzungen mit der Kollegenschaft in den anderen Sendern. Einige von ihnen waren nicht besonders begeistert davon, dass wir mit diesen Leuten gearbeitet haben. Und manchmal gab es richtig Ärger.

ZEIT: Worüber zum Beispiel?

Rohrbach: Über Rosa von Praunheims Film Der hat die ARD ins Wackeln gebracht.

ZEIT: Weshalb?

Rohrbach: Praunheim hat die Schwulen in diesem Film als Spießer beschimpft: Warum bekennt ihr euch nicht zu eurer Homosexualität, warum lebt ihr sie nicht offen? Die Gegner in den anderen Sendern argumentierten, der Film dürfe unter keinen Umständen gesendet werden, weil er sich ja gegen die Homosexuellen richte. Das war natürlich eine schiefe Argumentation, mit der viele ihre eigene Homophobie tarnten. Der Film wurde dann zunächst nur im dritten Programm des WDR gesendet und ein Jahr später erst in der ARD, freilich ohne den Bayerischen Rundfunk. Beide Male spät am Abend und mit anschließenden heftigen, zum Teil wüsten Diskussionen.

ZEIT: Was heißt wüst?

Rohrbach: Da ging es wild durcheinander, es wurde auch mal gebrüllt. Das war es, was uns damals Vergnügen gemacht hat am Fernsehen: dass es so lebendig war, so frei.

ZEIT: Riesenwellen schlug Ihr Ankauf der US-amerikanischen Miniserie Sie bewirkte eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Rohrbach: Aber alle anderen ARD-Fernsehspielchefs waren dagegen und wollten sich nicht daran beteiligen.

ZEIT: Warum nicht?

Rohrbach: Ich wollte, dass der WDR sie nicht alleine kauft, es ging ja um viel Geld. Mein Plan war, dass alle Sender das gemeinsam stemmen, was in der ARD damals noch unüblich war. Also habe ich den anderen Spielfilmchefs vorgeführt, mit negativem Ergebnis. Keiner wollte sich beteiligen. Ihre Vorbehalte glichen den Einwänden, die sich dann auch in der breiteren Öffentlichkeit artikulieren sollten. Auf der einen Seite, eher rechts, meinte man, inzwischen genug gebüßt zu haben, irgendwann müsse wohl Schluss sein, die andere, eher linke Seite traf sich mit meinen eigenen Zweifeln, ob es nämlich legitim sei, dieses Thema als fiktionalen Stoff aufzubereiten.

ZEIT: Sie haben sich aber nicht davon abbringen lassen …

Rohrbach: Ich habe durch etwas Entscheidendes gelernt, als Mensch und als Fernsehmacher. Wir hatten mit unserem Fernsehen ein Gegenprogramm zum auf Tränenproduktion ausgerichteten Ufa-Film der Fünfzigerjahre aufgestellt. Uns ging es um Aufklärung, um intellektuelle Auseinandersetzung. Dabei vernachlässigten wir aber einen anderen wichtigen Aspekt des Filmemachens: die Emotion. Gefühle unterliegen sehr schnell dem Kitschverdacht. Und dann kommt diese Serie, die von Gefühlen lebt. Auch deshalb wurde aggressiv kritisch darüber geschrieben, übrigens auch in der ZEIT, mit persönlichen Angriffen gegen mich.

ZEIT: Im Vorfeld der Serie kam es zu rechtsterroristischen Anschlägen, zwei Sendemasten der ARD wurden gesprengt. wurde von 20 Millionen Menschen gesehen. Danach wurde der Begriff für den Genozid an den europäischen Juden auch in Deutschland etabliert. Wie erklären Sie sich diese Wirkung?

Rohrbach: Nun, die Behauptung der Rechten, die Deutschen wüssten doch alles über den Holocaust, wurde durch die Serie widerlegt. Ein Tsunami von Reaktionen überflutete uns. Junge Menschen riefen beim Sender an, schrieben uns, dass sie das alles nicht gewusst hätten, obwohl sie es doch in der Schule durchgenommen hatten. Der Holocaust war durch den Kopf gegangen und dann wieder verschwunden. Mit der Serie war dem deutschen Fernsehpublikum plastisch klar geworden, dass es richtige Menschen waren, die von den Nationalsozialisten umgebracht wurden, Menschen, mit denen man mitleiden konnte. Genau das wurde dem Film natürlich vorgehalten: dass er uns Deutschen erlaubte, uns mit den leidenden Juden zu identifizieren. Ein problematischer Punkt, das sehe ich ein.

ZEIT: Bloß nicht auf Gefühle, auf Identifikation oder Faszination setzen – hing das mit Ihrer Generation zusammen, die die Verführungskraft der nationalsozialistischen Propaganda erlebt hatte?

Rohrbach: Ja, vermutlich. Am Ende des Krieges war ich 16 Jahre alt und sah im Frühsommer des Jahres 1945 die Bilder aus Bergen-Belsen. Von da an war es meine feste Überzeugung, dass ich als Deutscher lebenslänglich gebrandmarkt bin, dass uns die Weltgemeinschaft diese Verbrechen niemals verzeihen würde. Es kam anders. Das hatte vor allem politisch-strategische Gründe. Wir wurden als Schutzwall gegen die Sowjetunion gebraucht. Hilfreich war aber auch, dass die Deutschen spätestens seit den Sechzigerjahren anfingen, sich ernsthaft mit ihrer Schuld zu befassen. Den Durchbruch der Serie sehe ich als wichtigen Teil dieser Entwicklung.

ZEIT: Wie wurden Sie durch Ihr intellektuelles Umfeld geprägt? Jürgen Habermas war in den Fünfzigerjahren an der Bonner Universität Ihr Studienfreund …

Rohrbach: Wir hatten damals eine studentische Clique, zu der auch Habermas und seine spätere Frau Ute Wesselhoeft gehörten, mit denen ich bis heute befreundet bin. Sehr wichtig für mich war aber auch der leider früh verstorbene Wilfried Berghahn, einer der Mitbegründer der Zeitschrift Man lernt ja als junger Mensch in manchem mehr von den Freunden als von den Lehrern. Gemeinsam mit anderen Kommilitonen betrieben wir an der Uni einen Filmclub.

ZEIT: Was haben Sie dort gezeigt?

Rohrbach: Deutsche Filmgeschichte. Aber auch, soweit wir das bekommen konnten, aktuellere Filme, vor allem des italienischen Neorealismus.

Mehr lesen
by Author
Es gibt mehr Golffilme, als man denken würde, aber nur einen .…