Am Tag, an dem alle Blicke auf die historische Schulden-Abstimmung gerichtet waren, werden in Berlin heimlich die Weichen für ein weiteres historisches Projekt gestellt: für ein Europa, das sich notfalls ohne die USA verteidigen kann.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (47) in Berlin: Erst trifft der Top-Verbündete aus Paris am Abend (18 Uhr) Noch-Kanzler Olaf Scholz (66, SPD) zum einstündigen Vieraugengespräch im Kanzleramt. Danach dann dessen designierten Nachfolger Friedrich Merz (69, CDU) zum Krisen-Dinner – an einem bislang geheim gehaltenen Ort.
Dabei wird es natürlich um das heutige Trump–Putin-Telefonat gehen. Merz wird – eiserne Regel des CDU-Chefs für besonders wichtige Verhandlungen – wieder nur Wasser trinken wie beim letzten Gespräch der beiden in Paris. Denn: Es geht um Krieg und Frieden, um etliche Milliarden Euro Steuergeld.
Top-Thema: atomarer Schutzschirm
Während rechts des Rheins die XXL-Schulden diskutiert wurden, gab es links des Rheins ein anderes Top-Thema: Macrons Angebot, Deutschland und andere EU-Länder (u. a. Polen) unter den französischen Atom-Schutzschirm schlüpfen zu lassen. Paris verfügt über Atomwaffen auf U-Booten und Flugzeugen. Kritiker warnen, Frankreich wolle nur mit Geld aus dem Ausland sein Atomarsenal modernisieren, ohne bereit zu sein, die alleinige Entscheidungsmacht über dessen Einsatz zu teilen.
Macron geht es allerdings glaubwürdig um die strategische Souveränität Europas. Sein Mantra: „Ich möchte daran glauben, dass die USA an unserer Seite bleiben werden. Aber wir müssen bereit sein, falls dies nicht der Fall sein sollte.“
Gemeinsam mit dem britischen Premier Keir Starmer schmiedet Macron seit Wochen eine „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der Ukraine (aktuell rund 30 Staaten).
Brisant: Macron will Europas Blitz-Aufrüstung durch „Eurobonds“ finanzieren. Als größtes EU-Geberland ist Deutschland traditionell gegen Gemeinschaftsschulden. In diesem Punkt sind Merz und Scholz auf einer Linie.
Merz will Sicherheits-Debatte „ohne Tabus“
Anders ist es beim atomaren Schutzschild: Merz ist offen dafür. Es sei „mehr denn je“ im deutschen Interesse, diese Diskussion jetzt ohne Tabus zu führen, sagt Merz zu BILD. „Angesichts der aktuellen Lage ist es eine zwingende Notwendigkeit, dass wir nicht nur mit Frankreich, sondern auch mit Großbritannien über diese Fragen sprechen. Es geht zusammen mit den USA um einen gemeinsamen atomaren Abwehrschirm für Europa.“
Scholz setzt hingegen auf den Ist-Zustand: Er hält die amerikanischen Bomben in Deutschland, die im Fall der Fälle von der Luftwaffe ins Ziel gebracht werden, für unverzichtbar, will Trump gar nicht erst auf die Idee bringen, diese abzuziehen.
Brüssel drückt aufs Tempo
Und noch ein Thema ist beim Berliner Krisen-Dinner gesetzt: Das „Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung“, das die EU-Kommission am Mittwoch vorstellen will. Dabei geht es etwa um gemeinsame Systeme zur Luftverteidigung. Ziel ist es, dass EU-Staaten bevorzugt europäische Militärgüter kaufen sollten, dass die Rüstungsindustrie schneller hochgefahren wird, und dass Ausschreibungsverfahren für Waffen und Munition erleichtert werden.
Auf beiden Seiten des Rheins ist klar: Viel Zeit bleibt für die Herstellung der eigenen Verteidigungsfähigkeit nicht.