Kehrtwende in Südkorea? Nachdem Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht verkündet hatte, drohte die Situation zu eskalieren.
Nur wenig später marschierten Soldaten in der Hauptstadt Seoul auf, Polizisten riegelten das Parlament ab. Schwerbewaffnete Spezialeinheiten verschafften sich Zugang zum Gebäude, Militär-Hubschrauber landeten auf dem Dach.
Dann folgte eine Abstimmung von 190 der insgesamt 300 Abgeordneten. Das Ergebnis: Alle stimmten für eine Aufhebung des Kriegsrechts.
Parlamentspräsident Woo Won-shik forderte von Präsident Yoon, dem Willen der Abgeordeten nachzukommen. Er müsse gemäß der Verfassung den Ausnahmezustand aufheben, wenn das Parlament mehrheitlich dafür stimmt.
Dem ist er dann auch am späten Dienstagabend nachgekommen: Der Präsident kündigte an, das Kriegsrecht wieder aufzuheben – nach einer bald stattfindenden Kabinettssitzung. Die Soldaten seien abgezogen worden.
„Soeben hat die Nationalversammlung die Aufhebung des Ausnahmezustands gefordert, und wir haben das Militär abgezogen, das für den Einsatz unter Kriegsrecht eingesetzt war“, erklärte Yoon am Mittwoch (Ortszeit) in einer Fernsehansprache. „Wir werden der Bitte der Nationalversammlung nachkommen und das Kriegsrecht in einer Kabinettssitzung aufheben“, fügte er hinzu.
Im Internet kursierten Fotos von Panzern, die in der südkoreanischen Hauptstadt auffahren. Kim Mi-rim, eine Einwohnerin von Seoul, erklärte gegenüber der „BBC“ dass sie eine Notfallausrüstung gepackt habe, da sie befürchtet, die Situation könnte eskalieren. Frühere Fälle von Kriegsrecht seien immer mit Verhaftungen und Inhaftierungen verbunden, erinnert sie sich.
In der Zwischenzeit stimmten sich die Journalisten in Seoul eng ab und geben sich gegenseitig Ratschläge, wie sie vorsichtig bleiben könnten. Mit der Verhängung des Kriegsrechts unterliegen alle Medien- und Verlagsaktivitäten einer strengen staatlichen Kontrolle.
Das Kriegsrecht in Südkorea ist ein rechtlicher Zustand, der in Ausnahme- oder Krisensituationen ausgerufen werden kann. Es überträgt wesentliche Befugnisse von der zivilen Regierung auf das Militär, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.
Kritik von Opposition
Yoon hatte das Kriegsrecht ausgerufen, um „Schutz vor Nordkorea“ zu gewährleisten. Allerdings reagierte er damit wohl auf einen Streit über den Staatshaushalt mit der Opposition. Er warf der Opposition vor, die Regierung „gelähmt“ zu haben und ohne Rücksicht auf das „Auskommen“ der Bevölkerung zu handeln.
Yoon beschrieb die Situation so, als stünde Südkorea „am Rande des Zusammenbruchs“. Das Parlament agiere dabei als „Monster, das die liberale Demokratie stürzen will“.
Die oppositionellen Abgeordneten, die im Parlament die Mehrheit haben, hatten vergangene Woche nur eine stark reduzierte Fassung des Haushaltsentwurfs im zuständigen Parlamentsausschuss gebilligt. Yoon erklärte in einer live übertragenen Fernsehansprache, das Parlament sei „ein Zufluchtsort für Kriminelle geworden, ein Hort für eine legislative Diktatur, die das juristische und administrative System lähmen und unsere liberale demokratische Ordnung stürzen will“.
Oppositionsführer Lee Jae-myung verurteilte die Ausrufung des Kriegsrechts als „illegal“ und „ungültig“. Lee, der bei der Wahl im Jahr 2022 knapp gegen Yoon verloren hatte, forderte die Bürger auf, sich ihm im Kampf gegen das Kriegsrecht anzuschließen.
Wie aus Fernsehaufnahmen hervorging, demonstrierten vor dem Parlament in der Nacht zum Mittwoch (Ortszeit) Hunderte Menschen gegen die Ausrufung des Kriegsrechts.
US-Regierung „ernsthaft besorgt“
Die US-Regierung zeigt sich beunruhigt: „Wir sind ernsthaft besorgt über die Entwicklungen, die wir vor Ort in Südkorea beobachten“, hieß es vom Weißen Haus. Man stehe in Kontakt mit der südkoreanischen Regierung und verfolge die Situation genau, um mehr zu erfahren.
Die US-Regierung sei nicht im Voraus über die Ankündigung des südkoreanischen Präsidenten informiert worden, das Kriegsrecht auszurufen. US-Präsident Joe Biden wurde über die Ereignisse informiert, hieß es.
Die USA sind der engste Verbündete Südkoreas. Fast 30.000 US-Soldaten sind dort stationiert.