Machen Sie da mal was

Am Anfang der Dortmunder -Folge
(WDR-Redaktion: Frank Tönsmann) steht beiläufig ein schönes Bild. Die Schritte
eines Mädchens, das barfuß durch die Dämmerung läuft, führen auf eine Straße.
Und diese Straße ist gut ausgewählt (Locationscout: Claudia Stock) und
aufgenommen (Kamera: Leah Striker): Sie ist breit, weil in der Mitte
Trambahnschienen verlaufen, fällt leicht ab und macht eine zarte S-Kurve, was
dem an sich banalen Ort Tiefe verleiht.

Im Hintergrund sind Autos zu sehen, die in Richtung der
Kamera fahren, und schmucklose, mittelhohe Bebauung, wie sie fürs Ruhrgebiet
typisch ist. Davor rahmen Bäume auf beiden Seiten das Bild, die helle Kleidung des Mädchens im Vordergrund leuchtet sanft,
weil Scheinwerfer auf das Kind gerichtet sind.

Viel erzählt diese Exposition nicht, aber sie lässt
erkennen, dass die Arbeit der Kamera in diesem mehr will als
Routine. Das Mädchen Zoe (Tesla Tekin) wird nicht überfahren, obwohl der
Auftakt eines Krimis, der eine Leiche braucht, mit diesem Gedanken kokettiert.
Tot ist die Mutter des Kinds (Nadja Becker), umgekommen in einem Brand im nahe gelegenen
Einfamilienhaus.

Auch auf den zweiten Blick ist etwas anders in dieser
Dortmunder Folge. Die Spannungen auf dem Revier zwischen Faber (Jörg Hartmann)
und Chefin Klasnić (Alessija Lause) inklusive der unklaren Rolle des
Neukollegen Otto Pösken (Malick Bauer) sind zwar vorhanden. Sie werden aber
weit weniger aggressiv ausagiert als gewöhnlich. Fast scheint es, als müssten
sich alle erst mal erholen vom Großen Frühlingsfest des schlecht gelaunten Sprüchekloppens, das die
letzte Folge
präsentiert hatte.

Das Drehbuch von Markus Busch verteilt Konflikte nun auch
mal auf mehr als zwei Sätze Dialog, und Regisseurin Nana Neul inszeniert das
Ensemble weniger präpotent, fast wie runtergedimmt. So lassen sich statt der
groben, übellaunigen Faber-Standardgesten bei Jörg Hartmann ungewohnte, feinere
Momente im Spiel beobachten.

Die zu Tode gekommene Frau hatte neben der Tochter noch
einen Teenagersohn (Caspar Hoffmann) und einen gewalttätigen Mann. Dieser Jens
(Sebastian Zimmler) ist ein offensiv unsympathischer Charakter, und die Folge
will etwas über Misogynie und Gewalt gegen Frauen erzählen. In Rückblenden wird einmal
mit Gegenständen geworfen und auch gezeigt, wie Schläge aussehen. Da lässt
sich diskutieren, ob das nötig ist oder gerade wichtig, damit die Krassheit der
Gewalt eben nicht diskretisiert wird vom . Dass der Film sich an der Gewaltdarstellung nebenher weidet, kann man ihm aber nicht vorwerfen.

Das Problem der Geschichte liegt woanders, nämlich mal
wieder
in der Form. Der Whodunit passt nicht zu einem Ein-Täter-Verbrechen
wie Partnerschaftsgewalt. Alles, was die Erzählung „thematisch“ an
Wissen verbreiten will über das politisch
unterpriorisierte, strukturelle Problem
der Gewalt gegen Frauen (Steigerung
der Intensität; Frauenhaus als Schutzraum; Wichtigkeit, Taten zu
dokumentieren), sabotiert der Zwang zur Rätselfreude, die den nächstliegenden
Verdächtigen ausschließt.

Am Ende wird als Täterin Fanny Bellmes (Karolina Lodyga)
verhaftet, die beste Freundin des Opfers, weil Brandstiftung „ja eher so’n
Frauending“ ist, wie Faber schon zu Beginn prophezeit hatte. Zu diesem
Befund des weiblich dominierten Verbrechens würde man auch
gern noch mal mehr erfahren
, aber erst, wenn es gelungen ist, die
Motivation der Bellmes-Zündelei im Film zu verstehen. Fanny will nicht, dass
die Freundin aus dem Schutz des Frauenhauses wieder zurück nach Hause geht, und
fackelt ihr deshalb die Bude ab. Ein Spaßvogel könnte sagen: Wer solche besten
Freundinnen hat, braucht keinen gewalttätigen Mann mehr.

Denn das bleibt als merkwürdige Pointe hängen. Durch die
Krimilogik mit der unwahrscheinlichen Lösung wird unsichtbar gemacht, worauf
doch eigentlich Aufmerksamkeit lenken wollte. Woher dieser nirgendwo verbriefte
Whodunit-Befehl beim ARD-Sonntagabendkrimi kommt, könnte einem auch mal jemand
erklären – wo doch nicht selten die
Folgen
als
Klassiker
vorgezeigt
werden,
die sich den Stress mit der Täterraterei gar nicht erst gemacht haben.

Zumal sich die Ermittlung in diesem Dortmunder ziemlich
zieht. Sinnbild dafür ist der Teenagersohn der Toten, der seinen Auftritt
lange wortlos bestreitet. Oder wie oft Fanny Bellmes die Tür zu ihrem Haus
öffnen muss für einen Besuch vom Kommissar – kein Wunder, dass die Polizei unter
solchen Umständen 90 Minuten braucht für die Aufklärung. 

Kommissarin Rosa
Herzog (Stefanie Reinsperger) wird zudem undercover ins Frauenhaus eingeschleust, um
dort Hinweise aus arglos scheinenden Gesprächen zu ziehen, und wer zum ersten
Mal einen Film sieht, mag das mit der verdeckten
Ermittlung
für eine fesche Idee halten. Für alle anderen wäre ein wenig
Ehrgeiz belebend, den abgenutzten Standard etwas aufzupolieren – wenn schon
immer wieder zum Undercover-Einsatz gegriffen werden muss.

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