Sie ist DER Shootingstar der Linken und maßgeblich für deren Erfolg bei der Bundestagswahl verantwortlich: Heidi Reichinnek hat ihrer Partei fast im Alleingang wieder Leben eingehaucht.
Fast vier Prozentpunkte mehr bedeuten jetzt 8,8 Prozent (2021: 4,9 Prozent) für Linksaußen. Die Ostdeutsche spricht entsprechend stolz von der „Wiederauferstehung“ der Linken und ist „unfassbar dankbar“ für das Wahlergebnis – kommt aus dem Jubeln kaum heraus.
Grundsätzlich kann von einem Überraschungs-Coup für die Linke in Berlin gesprochen werden: Nach Auszählung aller Wahlgebiete kam die Partei in der Hauptstadt auf 19,9 Prozent der Zweitstimmen. Sie ist in Berlin damit fast doppelt so stark wie bei der Wahl 2021 inklusive der Teilwiederholung 2024. Gewonnen hat sie bei Bundestagswahlen in Berlin noch nie, zuletzt lag sie auf Platz vier.
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi hat im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick Platz eins erfolgreich verteidigt – und zieht direkt in den Bundestag ein. Der 77-Jährige erreichte nach Angaben der Bundeswahlleitung 41,8 Prozent der Erststimmen. Damit setzte er sich mit großem Abstand gegen den AfD-Kandidaten Michael Walter Gleichmann (20,5 Prozent) auf Platz zwei und Dustin Hoffmann (14,1 Prozent) von der CDU durch. Gysi hat den Wahlkreis seit 2005 durchgängig für die Linke gewonnen.
▶︎ Das Stimmenfang-Rezept der Linken und von Heidi Reichinnek: Eine Mischung aus energischen, lauten Reden und einem Wahlkampf mit klaren Botschaften in den sozialen Netzwerken, allen voran auf TikTok. Diese Taktik ist aufgegangen. Vor wenigen Wochen noch tot geglaubt, zieht die Linke deutlich in den Bundestag ein. Der lange Zeit zerstrittenen und durch die Abspaltung des BSW zermürbten Partei gelang so eine echte Wahlüberraschung.
Fakt ist: Dieser Erfolg dürfte vor allem auf das Konto der emotionalen 36-jährigen Spitzenkandidatin gehen.
„Hunderttausende Haustürgespräche“
„Es hat sich ausgezahlt, dass wir konsequent bei den Themen geblieben sind, die die Menschen in ihrem Alltag am meisten betreffen“, erklärt Reichinnek nach den ersten Wahlergebnissen und nennt insbesondere den Mietendeckel und bezahlbare Lebensmittelpreise.
▶︎ Bei den Leuten: Mitglieder und Unterstützende hätten „bei hunderttausenden Haustürgesprächen gezeigt, dass wir nicht nur reden, sondern auch zuhören und vor allem auch machen“.
Reichinnek erreicht im Netz Millionen
Mietendeckel, Vermögensteuer, klare Kante gegen den Rechtsruck: Damit ist die Linke in den Wahlkampf gezogen. Reichinnek erreicht zusätzlich im Internet ein Millionenpublikum.
▶︎ Sie ist auf Tiktok, Instagram und Co. so präsent wie nur wenige andere Politiker, ihre wütende Brandmauer-Rede im Bundestag gegen Friedrich Merz nach der Abstimmung zur Migration ging im Netz durch die Decke. 29 Millionen Menschen schauten zu. Wenn Reichinnek öffentlich auftritt, schießt sie Unmengen von Selfies mit ihren Anhängern.
Bei den 18- bis 24-Jährigen gelang der Linken sodann auch eine Sensation: Dort holte 27 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren waren es noch acht Prozent gewesen.
„Eine Menge Wut im Bauch“
Als Reichinnek 2015 in die Linke eintrat, hatte sie zwar „keinen Zehnjahresplan“, wie sie vor einigen Tagen sagte, „aber dafür eine Menge Wut im Bauch“.
Sie sah soziale Ungerechtigkeiten, den oft schwierigen Lebensalltag von Kindern, Jugendlichen und Familien, sie sah Altersarmut. „Ich wollte damals unbedingt Leute finden, die das ähnlich sehen, mit denen ich gemeinsam etwas verändern konnte“, erinnert sie sich. Und die habe sie in der Linken gefunden.
„Mission Silberlocke“
Zudem gab es da noch die „Mission Silberlocke“ um die drei Parteigranden Gregor Gysi (77), Bodo Ramelow (69) und Dietmar Bartsch (66), um mit drei Direktmandaten den Einzug ins Parlament zu sichern. Da lag die Linke in Umfragen noch bei drei Prozent.
Die „Silberlocken“ waren ein genialer PR-Schachzug, der die drei älteren Herren zu TikTok-Stars machte. Bartsch verfehlte sein Direktmandat zwar, die anderen beiden Silberlocken gewannen. Doch das ist nicht mehr entscheidend für den Bundestagseinzug.