Nimmt man das gute Dutzend Fernsehkameras als Maßstab, das zur Mittagszeit vor dem Sitzungssaal der FDP-Fraktion im Berliner Reichstag stand, dann hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit seiner Konkurrenzveranstaltung zum „Industriegipfel“ von Olaf Scholz (SPD) wenige Stunden später im Kanzleramt sein Ziel erreicht. „Die wirtschaftspolitische Diskussion ist jetzt dort, wo sie hingehört: ganz oben auf der Tagesordnung“, sagte Lindner zufrieden nach dem Treffen mit Wirtschaftsvertretern.
Man sei in regelmäßigem Austausch, aber es sei gut gewesen, sich noch einmal neu über die aktuelle Lage der Wirtschaft auszutauschen, sagte der FDP-Vorsitzende. Ob bei dem Austausch auch die jüngsten Schlagzeilen rund um das deutsche Vorzeigeunternehmen Volkswagen mit drohenden Werksschließungen und Entlassungen eine Rolle spielten, blieb offen. Konkrete Ergebnisse gab es – wie erwartet – nicht.
Reinhold von Eben-Worlée als Vertreter des Verbands der Familienunternehmer verglich die aktuellen Rahmenbedingungen in Deutschland mit einem „großen Rucksack“, der die Wirtschaft ausbremse. Darin seien „extrem hohe Steuern, extrem hohe Sozialabgaben“ und weitere Bürden, sagte er. „Und mit diesem Rucksack sollen wir einen Marathon gegen die vielen internationalen Konkurrenten gewinnen. Das ist kaum möglich.“
„Die Situation ist ernst“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe, Stephan Hofmeister, bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Die Unternehmen wollten „von der Kette gelassen werden“, dazu sei vor allem eine schnelle Entbürokratisierung nötig. Dies habe „nicht Zeit bis nächstes Jahr“ nach der Bundestagswahl. „Das muss jetzt beginnen.“
Und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger brachte die Situation im Reichstag mit einem Satz auf den Punkt: „Wir müssen jetzt nach dem politischen Schaulauf ins Handeln kommen. Es muss geliefert werden.“
Wie schwierig das für die Ampel-Regierung wird, zeigte sich in den vergangenen Tagen an den Alleingängen der Ampel-Spitzen: Nachdem der Kanzler ein Gespräch mit Industrievertretern zur Erarbeitung einer industriepolitischen Agenda angekündigt hatte, zu dem weder der Wirtschaftsminister noch der Finanzminister eingeladen waren, präsentierte Robert Habeck (Grüne) ein eigenes Impuls-Papier zur Belebung der Wirtschaft und Lindner sein eigenes Gespräch mit Spitzenvertretern der Wirtschaft.
Lindner will vorzeitigem Ampel-Aus keine Nahrung geben
Auffällig war, dass Lindner sich vor dem Dutzend Fernsehkameras weitere Spitzen in Richtung SPD oder Grüne verkniff. Er war sichtlich bemüht, den Gerüchten über eine vorzeitiges Ampel-Aus keine neue Nahrung zu geben. Auf eine Frage zum Fortbestehen der Koalition sagte er: „Es gibt auch so etwas wie eine Regierungsverpflichtung, und für Deutschland ist es allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt.“
Die Vorschläge der Wirtschaftsvertreter würden nun aufgenommen und bewertet. Der Druck ist groß. „Klar ist, dass wir in den nächsten Wochen alleine schon aufgrund der Zeitplanung für den Bundeshaushalt 2025 auch zu einer gemeinsamen Position werden finden müssen“, sagte Lindner.
Bleibt es bei dem bisherigen Zeitplan mit der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November, muss sich die Ampel-Spitze bereits kommende Woche auf weitere Schritte einigen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts wieder zu erhöhen. Die Ergebnisse müssen dann schließlich auch noch in den Haushaltsentwurf eingearbeitet werden. Wobei sich nicht wenige in Berlin bereits auf eine Verschiebung einstellen. Auch im Vorjahr wurde die entscheidende Bereinigungssitzung nach dem überraschenden Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts um mehrere Wochen verschoben.
Die Lücken im Haushalt sind auch ohne weitere Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft bereits gewaltig. Finanzminister Lindner sprach in der Vorwoche von einem hohen einstelligen Milliardenbetrag, der noch fehle. Für weitere Impulse für die Wirtschaft, etwa die schon oft geforderte Senkung der Unternehmensteuern und der Strompreise, müssten weitere Freiräume im Haushalt geschaffen werden.
Geht es nach der FDP, soll die Steuerlast für Unternehmen dauerhaft sinken. Dazu soll nicht nur der Solidaritätszuschlag zumindest schrittweise abgeschafft werden, sondern auch der Körperschaftssteuersatz sinken. Einnahmeausfälle für Bund und Länder wären die Folge. Für den Solidaritätszuschlag, der vor allem Unternehmen und Personengesellschaften trifft, sind im kommenden Jahr bislang Einnahmen in Höhe von rund zwölf Milliarden Euro eingeplant.
Mit jedem Punkt, um den die aktuell bei 15 Prozent liegende Körperschaftsteuer sinkt, fehlen im Haushalt des Bundes und der Länder jeweils rund 2,2 Milliarden Euro.
Die im internationalen Vergleich hohen Strompreise gelten als weiteres Hindernis für mehr Investitionen in den Standort. Vor allem die auf die Kunden umgelegten Kosten für den weiteren Netzausbau belasten. Doch diese zu drücken, ist teuer. Eigentlich hatte die Bundesregierung bereits im Vorjahr beschlossen, dass die Netzentgelte vom Bund mit 5,5 Milliarden Euro subventioniert werden.
Doch nach dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts im November 2023 wurde dieser Zuschuss für 2024 gestrichen. Kommt die Entlastung nun für 2025, müssen an anderer Stelle weitere Milliarden gespart werden. Die wirtschaftspolitische Diskussion mag nun ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Eine Lösung ist mit den beiden getrennten Treffen von Lindner und Scholz mit Vertretern der Wirtschaft keineswegs näher gerückt.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.