Leider nichts bekommen

Mohammad Rasoulof ist gerade erst in Los Angeles gelandet, aber im Kopf schon wieder ganz woanders. Noch kein Jahr ist vergangen, seit der iranische Regisseur aus seinem Heimatland fliehen musste, um einer langen Haftstrafe zu entgehen. Verstöße gegen die Zensurvorgaben des iranischen Regimes hatten ihn einmal mehr in Schwierigkeiten gebracht, schon in der Vergangenheit war Rasoulof deshalb ins Gefängnis gekommen. Im Mai 2024 war er Richtung Hamburg aufgebrochen, auch um seinen neuen, noch in Teheran gedrehten Spielfilm fertigzustellen. Nun, im März 2025, hat ihn dieser Spielfilm zu den Oscars gebracht. ist in der Kategorie des besten internationalen Films nominiert. Nicht als iranische Produktion, sondern für Deutschland.

Der Film wird den Oscar nicht bekommen, aber das kann am Tag vor der Verleihung natürlich noch niemand wissen. Deutsche Journalisten und Kamerateams warten schon vor der Tür zu Rasoulofs Hotelzimmer, als der Regisseur noch im berühmten Berufsverkehr zwischen Flughafen und Innenstadt von Los Angeles feststeckt. Letzte Interviews soll er geben, noch einmal trommeln für seinen Film, obwohl die Stimmzettel der Academy-Mitglieder doch längst ausgefüllt sind. Von allen Filmschaffenden, die in diesem Jahr für Deutschland mit den Oscars zu tun haben, ist Rasoulof der letzte, der in Los Angeles ankommt. Er wirkt auch wie der erste, der wieder wegwill.

„In Gedanken bin ich immer bei meinen Freunden und Kollegen im Iran“, sagt er, „bei aktuellen und früheren Kooperationspartnern, die gerade verfolgt werden oder im Gefängnis sind. Es ist egal, wohin ich reise, denn diese Gedanken folgen mir überallhin.“  

Wer gesehen hat, ist von solchen Sätzen des Regisseurs nicht überrascht. Heimlich hatten Rasoulof und sein kleines Team an dem Projekt gearbeitet, es ist ein Film aus dem Widerstand, weitgehend angesiedelt im Apartment einer vierköpfigen Familie aus Teheran, das im Verlauf von 168 Filmminuten immer enger zu werden scheint. Der Vater ist Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht, was bedeutet, dass er in Zeiten regimekritischer Proteste täglich Dutzende Todesurteile gegen Demonstranten unterschreiben muss. Die Mutter hält ihm den Rücken frei und die Familie nach Kräften zusammen, die beiden Töchter verfolgen auf ihren Handys, wie brutal selbst harmloses Aufbegehren zerschlagen wird. Langsam und doch unaufhaltsam sickert der politische Konflikt in die Privatsphäre der Familie ein.

Drei Filme, dreimal wenig Platz

German Films heißt die Einrichtung, die zum erklärt hat. Jedes Jahr organisiert die GmbH aus München die Wahl des deutschen Oscarbeitrags, diesmal fiel sie auf Rasoulofs Arbeit, was möglich war, weil zumindest ein deutscher Produzent daran beteiligt ist. Viele Beobachter fanden die Entscheidung mutig, andere glaubten darin den Versuch zu erkennen, das deutsche Kino durch eine ausländische Produktion künstlich aufwerten oder künstlerisch abwerten zu wollen, je nachdem, wie paranoid man ist. Rasoulof lässt im Gespräch jedenfalls erkennen, dass er andere Sorgen hat. Drei Drehbücher, sagt er, lägen gerade zu Hause auf seinem Schreibtisch. „Aber ich frage mich, ob sie noch aktuell genug sind. Die Welt verändert sich so schnell, man müsste eigentlich jeden Tag neue Filme machen.“

Am Nachmittag davor, als Rasoulof noch gar nicht in Los Angeles ist, werden trotzdem noch einmal die alten Filme gefeiert. Jedes Jahr lädt German Films zu einem Empfang für die deutschen Oscarkandidaten ein, neben sind das diesmal von Edward Berger und vom Schweizer Regisseur und Drehbuchautor Tim Fehlbaum. Spricht man mit den Filmschaffenden und weiteren Nominierten, dem Komponisten Volker Bertelmann etwa oder der Kostümbildnerin Lisy Christl (beide ), glauben alle – richtigerweise, wie sich zeigen wird –, dass sie nicht gewinnen werden. (wird lediglich den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch erhalten.) Zu großen Träumen ist nur Steven Gätjen aufgelegt: Der Mann, der seit Jahren für ProSieben vom roten Teppich berichtet, hofft – vergeblich, wie sich zeigen wird – auf Oscarinterviews mit Adrien Brody und Demi Moore.

Rasoulof lässt sich von Mahsa Rostami und Setareh Maleki vertreten, den Darstellerinnen der revoltierenden Töchter aus . Der Film, der von der Zerstörung einer Familie handelt, hat auf anderer Ebene auch eine neue Familie geschaffen: Maleki erzählt, dass die Schauspielerinnen inzwischen in einer Berliner WG leben würden, „wie richtige Schwestern“. Ein Auftritt des rastlosen Regisseurs, den man am nächsten Tag treffen wird, bleibt bei der Schnittchen- und Sekt-Veranstaltung dennoch schwer vorstellbar. Auch wenn Rasoulofs Film überraschende Parallelen zu den anderen beiden Projekten aufweist, die beim German-Films-Empfang schon einmal vorgefeiert werden.

, und sind klaustrophobische Filme. Alle drei erzählen ihre Geschichten auf engem Raum: Berger von einer Papstwahl unter durchtriebenen, lästerfreudigen Kardinälen, Fehlbaum und sein Co-Autor Moritz Binder aus dem Newsroom eines US-amerikanischen Fernsehsenders, der live von der Geiselnahme israelischer Athleten bei den Olympischen Spielen 1972 in München berichtet. Bei Rasoulof ist es das erwähnte Apartment in Teheran, das der Familie gesellschaftliches Ansehen verschafft, aber doch zu klein ist für ein Leben mit zwei fast erwachsenen Töchtern und erst recht für deren Träume.

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