Länger ging’s nicht mehr

Oh, trägt Max Gruber da gerade Drangsal zu Grabe? Der 31-Jährige galt unter diesem Pseudonym als pfälzischer Synth-Pop-Gott, als umtriebige Figur in der deutschen gitarrenlastigen Szene – und auf der Bühne sogar als Teufel in Person, als Gehörnter im roten Luziferkostüm. Seine Ästhetik war laut, launisch, queer. Und manchmal, na ja, da gab Gruber den Arsch der Nation, beschimpfte andere Musiker, war ein Zyniker, der vieles scheiße fand. In einem Interview mit dem Magazin sagte er das kürzlich sogar selbst, zumindest sinngemäß: „Ich bin froh, dass ich die letzten drei Jahre weniger in der Öffentlichkeit und mehr in Therapie verbracht habe“, erklärte Gruber dort. Mit der Person, die er einmal war, hätte er gerne „nichts mehr zu tun“.

Auf dem Cover seines letzten Albums (2021) blickte Gruber in einen Spiegel und sah sich selbst als Teufel. Auf dem Cover des neuen, vierten Drangsal-Albums gräbt Gruber ein Grab. Könnte einerseits bedeuten, dass er den Teufel Drangsal darin verstauen will, damit er geläutert auferstehen kann. Andererseits heißt das Album, warten Sie kurz:

Um dieses Wirrwarr der Zeichen zu verstehen, muss man wissen: Max Gruber ist nicht mehr Drangsal, sondern nur noch ein Teil davon. Unter dem Namen arbeitet er mittlerweile mit dem Gitarristen Lukas Korn und dem Multiinstrumentalisten Marvin Holley. Ein Bandgefüge also als Exorzismusstrategie, die das Diabolische vom Namen Drangsal löst und einen Neuanfang ermöglicht. Es scheint vor allem eine Befreiung für den Hyperperfektionisten Gruber zu sein, der sich mit seinen ersten drei Alben immer auch quälte, weil er nichts aus der Hand geben wollte. Seine Projekte Die Mausis mit Stella Sommer und die Band Die Benjamins mit Mitgliedern von unter anderem Die Nerven und Beatsteaks waren in den letzten Jahren ein Teambuilding-Bootcamp für ihn. Das Learning: Zusammen geht’s auch, oft sogar besser. Hinzu kommt noch das Buch (2022), das zumindest in Zusammenarbeit mit einem Lektor entstanden sein dürfte. Und jetzt also ein Album der Gruppe Drangsal.

Was das musikalisch bedeutet, zeigt schon , der erste Song des Albums. „“, singt Gruber darin, was ein bisschen esoterisch klingen mag, aber deshalb nicht falsch ist. Dann geht es los: leise Klavierakkorde und Flöten, dann eine geisterhafte Autotuneerscheinung von Grubers Stimme, die noch aus dem Fegefeuer zu kommen scheint. Später wandelt sich diese Stimme, erinnert plötzlich an den jungen The Weeknd, der noch im Schlafzimmer Musik machte. Zwischendrin gibt es, als wäre das alles nicht schon genug, auch einen Chor und ein kleines Gitarrensolo. Gute Frage also: Wie viel hin und her erträgt so ein dreieinhalb Minuten langer Song eigentlich? Drangsal, die Band, antwortet: sehr viel! Nur mit dem Achtzigerjahresound ihrer bisherigen Alben hat diese neue Musik kaum noch zu tun.

ist sehr sprunghaft, so heterogen wie nur möglich. Und es ist ziemlich lang, 17 Songs, einer davon dauert knapp sieben Minuten. Gruber singt dazu Selbstreflexionen auf Deutsch und auf Englisch. Mal dominieren lärmende Gitarren, mal könnten die Songs eine Hotellobby beschallen. Würde man es böse meinen mit Drangsal, könnte man das alles als Zumutung empfinden.

Lässt man sich aber darauf ein, offenbart seine Stärken. Zum Beispiel im Song , einer Sammlung kurzer Erkenntnisfetzen. Gruber singt über die Jagd nach dem Rausch, darüber, dass es immer höher, schneller, weiter gehen muss – bis hin zum Applaus, der auch Erlösung bedeutet. „Aus Traum wird Trauma“, heißt es dann, und schließlich: „Bergab, es geht bergab.“ Begleitet wird dieser Text von Gitarrengeprügel, das einen an Max Rieger denken lässt. Wieder einmal hatte der Musiker von Die Nerven und Produzent vieler deutscher Rockalben seine Finger im Spiel.

Traumata und die Flucht vor sich selbst sind wiederkehrende Themen auf . Schon früh im Verlauf des Albums, im Song , zeigt sich: Der eigene Schaffensdrang verfolgte Gruber früher bis in den Schlaf, Melodien prägten seine Träume. Die Obsession geht so weit, dass der Künstler sich fragt, ob es nicht besser wäre, nie wieder aufzuwachen. Ein Chor singt „“, und man merkt: Für Gruber gibt es wenig, was existenzieller wäre als die Musik. Mit einer Band, so scheint es nun, war es ihm erstmals möglich, Druck rauszunehmen und den Schaffensprozess nicht zur Selbstgeißelung zu machen. Wohl auch deshalb kommt auf diesem Album wirklich alles zusammen: Kammerpop und Post-Punk, verschlafener Indierock, Violinen, Celli und eine Querflöte.

Gruber gelingt hier also, wovon er bisher nur träumen konnte. Seine Stimme erreicht höchste Höhen, jault dann wieder oder erzählt entspannt. Seine Texte pendeln zwischen Empfindsamkeit, mittelalterlichem Duktus und präzisen Metaphern, bleiben aber immer songdienlich – es geht hier schließlich um Popmusik. Was auch bedeutet, dass es um Widersprüche geht. So befreit wie in seinem neuen Bandkorsett klang Max Gruber nämlich noch nie.

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