Kurze Rede, spärlicher Applaus – Scholz ließ die Chance auf Wahlkampf in Davos ungenutzt

Dreimal schon war Olaf Scholz in Davos, 2020 als Finanzminister und 2022 und 2023 als Kanzler. So war der Auftritt beim Weltwirtschaftsforum am Dienstag im Kongresszentrum sein vierter – und wohl auch sein letzter, sollte er nicht doch noch die Wiederwahl hinbekommen.

Man hätte vielleicht eine Abrechnung erwarten können, mit den Konzernherren zum Beispiel, die eben noch freien Märkten das Wort redeten und sich als Nachhaltigkeitsjünger verkleideten und die sich nun dem Burn-Baby-Burn-Merkantilisten im Weißen Haus um den Hals werfen. Oder man hätte mit einer weitschweifenden Vision rechnen können, mit diebischem Vergnügen vorgetragen von einem, der weiß, dass er selbst nie an ihrem Ausbleiben zur Rechenschaft gezogen wird.

Tatsächlich begann Scholz scharf. Wer die „fundamentale Unverletzlichkeit von Grenzen infrage stellt, stellt Frieden und Wohlstand infrage, und zwar weltweit“. Ein klarer Seitenhieb auf Donald Trump, der keine 24 Stunden zuvor die Zukunft des Panamakanals infrage gezogen hatte. Und ein klarer Kontrast zu Ursula von der Leyen, die Stunden vorher auf derselben Bühne sehr viel vorsichtiger war.

Wer aber glaubte, nun werde Scholz – und sei es nur, weil Wahlkampf ist – eine unmissverständliche, ausführlich Antwort liefern auf die Amtseinführung in Washington, wurde enttäuscht. Die Chance, die sich ihm bot, nachdem von der Leyen Trump noch nicht einmal beim Namen nennen wollte, ließ er ungenutzt.

Stattdessen präsentierte er eine Gelassenheit, die für das Veränderungdrang gewohnte Publikum in Davos nur aufreizend wirken konnte. Natürlich werde Trump „die Welt in Atem halten“, und das in vielen Bereich, „aber mit all dem können wir umgehen“, ohne Entrüstung und auch ohne Anbiedern. Es gebe „keine einfachen Lösungen“ bei „nie gekannten Herausforderungen“, nur auf „Zusammenarbeit“ wolle man setzen und dabei klarmachen: „Verständigung liegt oft auch im eigenen Interesse“.

Das war schon der aufregende Teil der Ansprache. Es folgte ein Potpourri von Wahlkampfideen und die Freude darüber, „dass die Kommissionspräsidentin (Ursula von der Leyen) meinen Vorschlag europaweit harmonisierter Kaufprämien für E-Autos inzwischen aufgenommen hat“. Als die Rede nach nur 16 Minuten vorbei war – seine Vorgängerin Angela Merkel hatte immer wesentlich länger geredet –, da war der Applaus im halb leeren Saal spärlich, anfangs fand sich sogar gar niemand, der dem Regierungschef der drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt eine Frage stellen mochte.

Scholz, sichtlich ermattet vom Wahlkampf daheim, hätte sich sicher einen schwungvolleren Abgang aus den Hochalpen gewünscht. Doch dann kam sogar gleich im Anschluss daran auch noch Wolodymyr Selenskyj auf derselben Bühne und vor dem gleichen Publikum an die Reihe. Der ukrainische Präsident präsentierte sich als einer, der noch etwas will von der Welt, er kritisierte die überregulierende KI-Politik in Brüssel, forderte einen „Iron Dome“ für Europa nach israelischem Vorbild und das Engagement Europas als Sicherheitsgarant in Syrien. „Europa muss wieder die Geschichte gestalten“, sagte Selenskyj. Er drehte den Spieß um: Europa müsse wieder so stark werden, dass Amerika uns brauche.

Holger Zschäpitz und Olaf Gersemann berichten vom Weltwirtschaftsforum 2025 in Davos.