Brutaler Realitätsschock in einem Thüringer Landgasthof.
Dabei beginnt die Szene so alltäglich wie vielerorts. Ein Tisch. Ein Thema. Es geht um Russland, Ukraine, die Waffenlieferungen. „Hat jemals eine Waffe ein Problem gelöst?“, fragt eine Frau und schüttelt den Kopf. „Waffen schaffen keinen Frieden“, fügt ein AfD-Lokalpolitiker selbstsicher hinzu. Zumal Krim und Ost-Ukraine eh russisch seien!
► Doch bevor die Debatte in Einseitigkeit versinkt, erhebt sich überraschend ein Hüne im Raum – WLADIMIR KLITSCHKO. Zwei Meter geballte Entschlossenheit, und er will mitreden.
„Wenn wir uns nicht wehren, werden wir ausgelöscht!“
Paul Ronzheimer hat ihn für seine Reportagen-Reihe „Wie geht’s, Deutschland?“ eingeladen. Der Box-Weltmeister (53 K.o.-Siege) verteidigt sein Land, die Ukraine, seit 2022 gegen die russische Invasion – mitunter auch an vorderster Front. Jetzt ist er mitten in Thüringen.
Die Runde muss sich erst mal sammeln. Doch dann geht’s zur Sache: „Wenn wir uns nicht wehren, werden wir als Nation ausgelöscht!“, sagt Klitschko eindringlich. Er erzählt von den Leichenbergen aus Butscha. Von der Barbarei, die er mit eigenen Augen sah.
Man spürt, dass die Anwesenden Klitschko respektieren – trotz seiner anderen Meinung. Und so verläuft das Gespräch erstaunlich zivilisiert. Dass das längst keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen zahlreiche Szenen davor.
► Zum Beispiel im thüringischen Greiz, 20.000 Einwohner, Wahlkreis von Björn Höcke. Dort will Paul Ronzheimer den AfD-Hardliner, der Faschist genannt werden darf, bei einem öffentlichen Auftritt interviewen, wird vom Sicherheitspersonal mehrmals abgedrängt. Freie Presse? Unerwünscht. „Der Mann ist therapiebedürftig!“, höhnt Höcke.
„Da gibt’s ein Baum, ein Strick!“
Es bleibt nicht bei Beleidigungen. Immer wieder wird Ronzheimer mit Drohungen konfrontiert. Bei einer Pro-Russland-Versammlung, die er besucht, schreit eine Frau: „Ihr kriegt noch eure Strafe, ihre Medien!“ Auf die Frage, welche Strafe das denn sei, zischt ein Mann vielsagend: „Da gibt’s ein Baum, ein Strick!“, bevor ihn die Frau wegreißt und noch ein „Volksverräter!“ dalässt.
Die Formulierungen sind brutal. Auf der gleichen Veranstaltung trifft Paul Ronzheimer Ex-AfD-Politiker André Poggenburg, der sagt: „Ich bin ein ganz großer Verfechter, dass wir Arbeitslager bekommen.“
„Ich hoffe, Sie kommen an die Front“
Auf einem Marktplatz in Meiningen marschieren Putin-Freunde mit Trommeln und Pauken auf. „Ich hoffe, Sie kommen an die Front“, pöbelt ein Mann Richtung Reporter. Diskutieren will er nicht. Das übernimmt ein Mann mit Russland-Flagge an der Kappe. Kein Problem. „Der Krieg hat eine Vorgeschichte“, hebt er an – landet dann aber schnell bei Kondensstreifen am Himmel. „Fünf Kilometer lang!“ Verschwörungstheoretiker glauben, dass diese „Chemtrails“ versprüht werden, um die Bevölkerung zu manipulieren. Ein anderer Demonstrant geht dazwischen und führt ihn weg von der Kamera.
Es ist eine Reise durch ein Land der Gegensätze und Widersprüche. In Greiz bekennt ein Mann namens Kurt: „Ich hasse die AfD.“ Erklärt aber auch, was aus seiner Sicht schiefläuft: „Wir haben kaum noch junge Leute. Viele, viele, viele sind weggezogen. Hier sieht es schlecht mit Arbeit aus, ganz schlecht!“ Gastwirt Rico resümiert: „Es bleibt eigentlich alles scheiße.“
„Mein Herz ist sehr traurig“
► Auf einer Veranstaltung laufen zwei Leute mit „Adolf und Eva“-Shirt herum. Ein Auto mit dem Kennzeichen AH fährt vorbei. „Man kann ja mal raten, welche Abkürzung das sein soll“, kommentiert ein Passant sarkastisch.
Gleichzeitig gibt es Menschen, die Angst haben. In Erfurt ringt eine Frau nach der Thüringen-Wahl mit den Tränen. „Mir geht es – ehrlich gesagt – sehr schlecht“, sagt sie. „In meinem Freundeskreis und auch in meiner Familie sind so viele Gruppen vertreten, die dieses Wahlergebnis wirklich direkt betreffen wird. Also Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, Menschen, die Migrationshintergrund haben. Mein Herz ist sehr traurig.“
Ronzheimer: Wie geht’s, Deutschland?, 9. September, 20.15 Uhr, Sat.1 und Joyn