Am Ende ist die Hoffnung futsch. Das kommt davon, wenn man den Regisseur Frank Castorf Hans Falladas Weltbestseller am Berliner Ensemble inszenieren lässt und auf der Bühne wieder mächtig gebrüllt, gepöbelt und herumgekeift werden darf. Es ist die Geschichte des Angestellten Johannes Pinneberg und seiner Frau Emma, genannt Lämmchen, die in Berlin Anfang der Dreißigerjahre in den Strudel der Weltwirtschaftskrise geraten, hin und her gestoßen werden, am Ende mit nichts dastehen und doch nicht den Glauben aneinander verlieren.
Doch weil der inzwischen 73-jährige ehemalige Volksbühnen-Intendant nun einmal der Wüterich Castorf ist, verschneidet er Fallada mit Heiner Müllers Rot-Braun-Stück und der völlig durchgeknallten Novelle die Fallada, der Morphinist war und alle erdenklichen Mittel zu sich nahm, in der Psychiatrie am Rande des Wahnsinns schrieb. Und so wird aus der kleinbürgerlichen Utopie ein wilder Drogenrausch, in dem bald klar ist, wie Castorf seine unpolitischen Biedermänner gerne hätte: anarchisch, unberechenbar und ein bissl verwegen. Mehr als Freie Sachsen.
Deswegen steckt er sie in glitzernde Revuekostüme und lässt sie von der fast leeren Bühne in den per Live-Video übertragenen Maschinenraum hinabsteigen. Dort hat Castorf alte sowjetische Panzerräder gefunden, die nach dem Krieg für die Drehbühne genutzt wurden. Jetzt dient das demontierte Räderwerk als Drogenhölle, in der sich die Mutter, Frau Pinneberg (Artemis Chalkidou), und ihr Unterwelt-Lover Jachmann (Andreas Döhler) hin und her wälzen, mit dem Revolver im Gürtel noch einen Schuss in die Venen jagen, berauscht von sich, vom Ende, vom Untergang. Schließlich landen sie nackt unter der Dusche, aus der Blut strömt, ein Bier fällt Chalkidou auf den Kopf. Wenn die Geschichte keine dialektischen Haken schlägt, macht sie einfach nur „Plong!“.
Zeit zum Durchatmen bleibt in dieser über fünfstündigen Aufführung kaum. Die Spieler springen in ihren Rollen hin und her. Die Abstiegsängste zerren an den Nerven. Im grellbunten ebenfalls per Live-Video eingeblendeten Kaufhaus Mandel (jetzt hinter der Bühne) kommt es dann zum Showdown, als der Verkäufer Pinneberg (Gabriel Schneider) die berühmte Schauspielerin Schlüter (Pauline Knof) in einem Anfall von Wahnsinn, der an den fingerkauenden Hunger von Knut Hamsun erinnert, anfleht, doch bitte etwas zu kaufen. Es hilft nichts: In diesem „Schweinesystem“ ist die Würde nur noch das kurze Glück der Abhängigen, wenn sie sich nach einem weiteren Fieberschub ihre Wut vom Leib geschrien haben.
In einem Interview nannte Castorf kürzlich die AfD die „Rache des Ostens“. So richtig gut durchdacht war das nicht. Castorf stellt sich die kleinen Leute heute wie damals nicht als Spießer vor, sondern als antibürgerliche Rebellen, schön schnoddrig, nicht so sauber und brav. Für ihn ist der Kleinbürger ein Künstler, ein verkannter Expressionist, der seinen Rausch auslebt. Das ist politisch nicht immer schön, manchmal auch peinlich. Und endet oft mit einem sehr schlimmen Kater.