Jetzt lass uns doch endlich in Ruhe

Der neue Magdeburger , ursprünglich zur Ausstrahlung Anfang Februar vorgesehen, trägt den Titel (MDR-Redaktion: Denise Langenhan, Johanna Kraus, Adrian Paul). Klingt wie
ein Roman von Bodo Kirchhoff, ein Wort aus alter Zeit, ein
„gehobener“ Ausdruck, bei dem man erst mal das Geschlecht nachschlagen
muss, weil es so selten Verwendung findet. Dabei ist die Bedeutung ziemlich
schlicht: Das Widerfahrnis ist halt das, was einem widerfährt.

Wie Schicksal ohne Götter, dafür mit Auto. Die mysteriöse
Frau, um deren Geschichte sich der dreht, ist auf der
Landstraße von einem fahrerflüchtigen Kfz ins Koma bugsiert worden. Die Zeit im
Krankenhaus zwischen nicht so aufregendem Nicht-ansprechbar-sein (Anfang) und spannungslosem
Doch-nicht-wieder-aufwachen (Ende) verbringt Kommissarin Brasch (Claudia
Michelsen) damit, herauszufinden, was es mit dieser Frau auf sich hat.

Die mysteriöse Unbekannte heißt Sandra Polzin (Mareike Sedl),
war einst happy mit Mann (Knut Berger) und Kind, bis die Familie durch das
Ehepaar Tamm auf der Autobahn rechts überholt und in einen Unfall verwickelt
wurde. Tamms begingen Fahrerflucht, Sandra überlebte als einzige.

Jahre später kehrt Sandra Polzin nach Magdeburg zurück, wo
sie von der netten Berna (Rosa Özkan) mit niedlicher Tochter (Soraya Maria Efe)
in die Wohnung aufgenommen wird, obwohl sie kein Wort spricht. Sandra verdingt
sich als Reinigungskraft, um René Tamm zu finden. Am Ende lässt sie sich von ihm
überfahren. Was diesmal die Sexarbeiterin Dorota (Iza Kala) beobachtet, sodass
Tamm vor Gericht verurteilt wird. Nicht ganz klar ist, ob Sandra sich damit
opfert, um Gerechtigkeit zu erzwingen (die erste Fahrerflucht war schon
verjährt), oder ob sie den Suizid sucht, weil ihr das Dasein ohne Familie nicht
mehr lebenswert erscheint. Es ist irgendwie beides, und das ist irgendwie
unbefriedigend.

Der Einfall (Drehbuch: Zora Holtfreter, Lucas Thiem), dass sich
ein Unfallopfer vor ein Auto wirft, um den Täter von damals in die Verurteilung
zu zwingen, ist zumindest unüblich. Und auch etwas unscharf, weil sich als später
Clou des Films in der finalen Rückblende herausstellt, dass René Tamm (Stephan
Kampwirth) nach dem Autobahnunfall, den er kurz begutachtet, auf der
Beifahrerseite wieder einsteigt und seine Frau (Martina Ebm) am Steuer sitzt.

Überraschende Twists, die einer spannenden Rätsellösung zuarbeiten
sollen, brauchen Tempo, Rhythmus und Verwicklung. Dieser aber
dehnt seinen einfachen Grundgedanken über 90 Minuten aus – mit so vielen
bedeutungsvollen Pausen, dass man durchaus in Versuchung geraten könnte, den
Film mit erhöhter Geschwindigkeit abzuspielen.

Was vom Vorspulen abhalten soll, ist der Kunstbefehl, der
nicht nur vom altmodischen Titel ausgeht. Die Musik von Iva
Zabkar ist damit beschäftigt, die molligen Gefühlslagen der trüben Hauptfigur
mit großer Geste hin zu einem Erlösungspathos hochzustreichern, bei dem am Ende
hellstes Licht vom Himmel runterscheint. So wie final im Krankenhauszimmer,
wenn Sandras Tod markiert werden soll.

Und in der Szene, in der sich René Tamm und Sandra Polzin im
Wald begegnen, aufgenommen aus einer auf Symmetrie bedachten Totalen (Kamera:
Moritz Anton), regnet es stimmungsvoll-dramatisch. Im Dialog wäre die nicht
erkennbar gewesen, denn die bemitleidenswerte Mareike Sedl darf in der
Episodenrolle, abgesehen von einem Auftakt-„Gleich“, erst ab der 55.
Minute unter Beweis stellen, dass sie auch zwei Worte („Mäuschen,
Entschuldigung“) und danach ganze Sätze sprechen kann.

Bis dahin läuft diese Sandra Polzin schweigend durch den
Film, was wohl als Ausdruck ihrer Traumatisierung und Trauer gedacht ist,
vielleicht auch, gesellschaftskritisch gelesen, als Anklage gegen die
Ungerechtigkeiten dieser Welt. verfügt damit über eine zu völliger Passivität verdonnerte
Protagonistin, die gegen Kritik schon immer imprägniert zu sein scheint, weil sie es nun mal schwer hat im Leben. So lässt sich clever das
Mitgefühl der Betrachterin erpressen. Regisseur (2021) darauf verstanden, den politischen Gehalt eines
Terroranschlags in unspezifische, aber übertrieben ausgedehnte
Leidensgeschichten zu gefühlszuverbreien (Drehbuch damals: Agnes Pluch), wobei
ebenfalls eine Frauenfigur allein auf ein Schicksal festgelegt war. Komplexität
gibt’s nicht für alle.

Wie
absurd das Schweigen der Sandra Polzin ist, zeigt sich dabei nicht nur in der direkten
Begegnung mit René Tamm im Wald, bei der dieser ein Selbstgespräch vor der Frau
im Auto aufführen muss. Als man sich gerade damit abgefunden hatte, dass diesem
offenbar eine schweigende Hauptfigur widerfahren ist, bricht schließlich
das unschuldige Kind von Berna das Eis.

Vom
Kunstwollen des Films sind auch die Figuren betroffen, die die ganze Zeit reden
dürfen. Claudia Michelsens Ermittlerin presst am Krankenbett von Sandra so viel
Drama in ihre geflüsterten Fragen, als guckte das ausverkaufte Hamburger
Schauspielhaus beim Höhepunkt von zu. Man kann das auch unfreiwillig
komisch finden.

Oder
anders gesagt: Man hätte dem am 6. Februar 2024 verstorbenen Pablo Grant, der hier
seinen letzten Auftritt als Assistent Günther Márquez hat, einen besseren Film
für den viel zu frühen Abschied gewünscht.

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