Jeder will diese Waffe haben

Es war der bisher größte russische Luftangriff seit Kriegsbeginn. In der Nacht auf den 9. Juli feuerte Russlands Armee mehr als 700 Drohnen und ein Dutzend ballistische Raketen auf Ziele in der Ukraine ab. Zwar konnte die Flugabwehr die meisten Drohnen abwehren. Gegen die sechs Kinschal-Hyperschallraketen der Russen war sie aber machtlos. Wenige Stunden nach dem Angriff registrierten Satelliten der US-Raumfahrtagentur Nasa Großfeuer am Militärflugplatz in Schytomyr. Auch im westukrainischen Lutsk wurde das Flugfeld getroffen. Beide gelten als mögliche Standorte westlicher Kampfjets.

Was genau die russischen Raketen getroffen haben, dazu macht das ukrainische Militär keine Angaben. Klar ist allerdings, warum die Kinschal-Raketen durchgekommen sind. Es fehlen moderne Luftabwehrsysteme, die einen flächendeckenden Schutz vor modernen russischen Raketen gewährleisten können. Von allen Systemen im ukrainischen Arsenal habe nur das Patriot-Luftabwehrsystem in Kombination mit den modernen PAC-3-MSE-Abfangraketen seine Fähigkeit bewiesen, russische ballistische Raketen abzufangen, sagt Mykola Beleskow, Militärexperte und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kyjiwer Nationalen Instituts für Strategische Studien. Die Ukraine verfüge derzeit nur über sieben bis acht Patriot-Batterien. „Das sind bestenfalls 50 Prozent der minimal benötigten Anzahl an Batterien, um große städtische Gebiete wie Kyjiw, Dnipro und Odessa zu schützen“, sagt Beleskow. Zumal Russland nicht nur seine eigene Raketenproduktion steigere, sondern auch Raketen aus Nordkorea importiere. 

Eine kurzfristige Lösung des Problems ist für die Ukraine derzeit nicht in Sicht. Das hatte in dieser Woche berichtet, dass US-Präsident Donald Trump der Ukraine möglicherweise ein weiteres Patriot-System liefern könnte. Nachdem Trump während einer Kabinettssitzung öffentlich seinen Frust über den russischen Präsidenten Wladimir Putin geäußert hatte – „Wir werden von Putin mit Bullshit beworfen“ –, ist das durchaus vorstellbar. Trump hat in den vergangenen Wochen gezeigt, dass er keine klare Strategie hat, um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Der jetzige Sinneswandel gegenüber Putin mag fraglich sein, auszuschließen ist er nicht.  

Abfangraketen sind Mangelware

Das größere Problem ist, dass die USA womöglich gar nicht genug haben, um sich gegenüber der Ukraine großzügig zu zeigen. Was auch für Bundeskanzler Friedrich Merz ein Dilemma ist, der gerade bei der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Rom angeboten hatte, diese Luftabwehrsysteme von den USA zu kaufen.  

Wie der in dieser Woche berichtet hat, verfügen die USA derzeit nur über etwa 25 Prozent der benötigten Patriot-Raketenabwehrsysteme, die für die militärischen Planungen des Pentagon erforderlich wären. Als Grund für die geringen Bestände werden die Einsätze im Nahen Osten in den vergangenen Monaten genannt. So sei die Sorge im Verteidigungsministerium aufgekommen, dass mögliche militärische Operationen der USA gefährdet seien. Angeblich sei das ein Teil der Entscheidungskette gewesen, an deren Ende Überlegungen zum Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine standen.  

Die benötigten Systeme nachzubestellen, dauert, denn das Patriot-System ist gefragt. Der Hersteller Raytheon in den USA beliefert derzeit 18 Staaten mit der Flugabwehr. Eine sogenannte Feuereinheit besteht aus einem Radar, einem Feuerleitstand, drei bis acht Startgeräten und einer Antennenmastanlage. Die Produktion dauert laut Raytheon von der Bestellung bis zur Auslieferung etwa drei Jahre, bei einer derzeitigen Kapazität von einer Feuereinheit pro Monat. Die Kosten für eine solche Einheit belaufen sich laut Experten des Thinktanks Center on Strategic and International Studies (CSIS) auf etwa 1,1 Milliarden US-Dollar: 400 Millionen für das System und 690 Millionen für die Raketen. 

Und auch die Raketen sind derzeit Mangelware. Die von Raytheon hergestellten AC-2 GEM-T eignen sich zwar, um ballistische Raketen abzufangen. Ihre Produktion wird derzeit ausgeweitet. Doch wie das Fachportal mit Verweis auf Unternehmensangaben berichtet, dürfte die Produktion Ende 2027 lediglich 450 Stück im Jahr betragen.  

Die modernere Raketenvariante PAC-3 MSE wird in den USA vom Unternehmen Lockheed Martin hergestellt. Nach Angaben des Unternehmens wurden im vergangenen Jahr mehr als 500 Raketen produziert und ausgeliefert. Eine PAC-3-MSE-Rakete – die derzeit einzige Version, die von den USA beschafft wird – kostet etwa 4,1 Millionen US-Dollar pro Stück.  

Auch Europa kann kurzfristig wenig tun, um die ukrainische Raketenabwehr mit zusätzlichen Systemen zu einem flächendeckenden Schutzschirm auszubauen. Deutschland hat bislang drei Patriot-Staffeln an die Ukraine geliefert. Ein weiteres System aus Deutschland steht in Polen. Im vergangenen Jahr hat das Bundesverteidigungsministerium zwar den Kauf von vier weiteren Patriot-Staffeln bekannt gegeben. Doch auch hier dauert die Auslieferung laut einer Mitteilung des Ministeriums bis 2030. 

Mehr lesen
by Author
Die Slowakei hat ihren Widerstand gegen das neue Sanktionspaket der Europäischen Union…