Ist Deutschland zu diplomatisch mit Russland?

Eigentlich sind die Warnungen nicht zu überhören. So stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein „aggressives Agieren russischer Geheimdienste“ fest und weist auf versuchte Sprengstoffanschläge auf militärische wie zivile Einrichtungen hin. Und der Bundesnachrichtendienst warnt vor der hybriden Kriegsführung Russlands. Zentral für Spionage und Sabotage im Auftrag des Kremls bleibt zudem, den europäischen Geheimdiensten zufolge, russisches Botschaftspersonal – trotz Hunderter ausgewiesener Diplomaten. 

Dennoch
verhindert die Bundesregierung offenbar einen europaweiten Schlag gegen Spione
unter diplomatischem Deckmantel. So ergeben Recherchen der ZEIT und der
tschechischen Tageszeitung , dass vor allem Deutschland eine vom Prager
Außenministerium forcierte Sanktionsmaßnahme blockiert, die russischen
Geheimdiensten die Arbeit schwerer machen soll. Dabei stellt sich die
Bundesregierung nicht nur gegen eine Mehrheit der EU-Staaten – sie scheint
sogar eine dringende Empfehlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu
übergehen. Allen Warnungen zum Trotz.

Bereits seit Oktober 2023, als das 14. Sanktionspaket der EU gegen Russland
verhandelt wurde, versuchte das tschechische Außenministerium, eine EU-weite
Einschränkung für Diplomaten des Kremls einzuführen. Demnach sollen Botschaftsmitarbeiter
nicht mehr wie bisher die Erlaubnis bekommen, sich im gesamten Schengenraum
frei zu bewegen. Sie sollen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis für das jeweilige
EU-Land erhalten, in dem ihre Botschaft liegt. Ziel ist laut dem tschechischen
Außenminister Jan Lipavský:
„Die Bewegungen russischer Agenten mit diplomatischer Tarnung einzuschränken.“

Tschechische Verhandler beschweren sich über Deutschland

Recherchen des WDR, NDR
und der wiesen im Frühjahr 2024 darauf hin, dass noch immer 20 russische Spione als Diplomaten in Deutschland akkreditiert sind, nachdem Dutzende Botschaftsmitarbeiter infolge von Russlands Invasion in der Ukraine ausgewiesen, vier von fünf Konsulate in Deutschland geschlossen wurden. Weil die russischen Botschaften europaweit verkleinert wurden, setzt der Kreml Sicherheitsbehörden zufolge zunehmend auf Spione und Saboteure, die kurzfristig und gegen wenig Geld im Internet rekrutiert werden. Gleichzeitig wird es bei weniger Personal in den Botschaften für die russischen Geheimdienste wichtiger, international innerhalb der EU zu agieren. So soll bei Operationen in Deutschland in den vergangenen Monaten vermehrt diplomatisches Personal aus Österreich involviert gewesen sein. 

Auch ein Sicherheitsbericht im Auftrag der EU-Kommission, der im Oktober
dieses Jahres von Finnlands Ex-Premierminister Sauli Niinistö erstellt wurde, empfiehlt
mit Verweis auf mögliche Sabotageakte, die Reisefreiheit von Diplomaten aus
Staaten einzuschränken, die eine Gefahr für Europa darstellten. Dabei belegt
der Bericht die Zunahme ebendieser Gefahr ausgerechnet mit der Festnahme von zwei Männern in Bayern, die im Verdacht stehen, für Russland im April Brandanschläge
auf US-Militäreinrichtungen geplant zu haben.

Doch tschechische Verhandler beschweren sich, dass die Maßnahmen zur
Spionageabwehr vor allem ein Staat blockiert: Deutschland. Selbst das für
russlandfreundliche Politik bekannte Ungarn sei inzwischen für die
Reisebeschränkungen zu gewinnen; das berichten Teilnehmer der Beratungen über
Sanktionspaket Nummer 15, das Anfang der Woche in Brüssel beschlossen wurde.
Das deutsche Außenministerium soll dem Vernehmen nach Bedenken über Vergeltungsmaßnahmen
des Kremls angeführt haben. So könnten Mitarbeitern der deutschen Botschaft und
anderer deutschen Organisationen in Russland ähnliche Beschränkungen drohen.
Tatsächlich warnt auch der Niinistö-Bericht der EU davor.

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