Mehr als ein Jahr Krieg – und kein Ende in Sicht?

Nach dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober kämpft Israel an gleich mehreren Fronten gegen seine Feinde. BILD sprach mit dem früheren israelischen Regierungschef Ehud Barak (82) darüber, wie der Krieg im Nahen Osten beendet werden kann.

Barak regierte Israel zwischen 1999 und 2001 und war zuvor Kommandeur der israelischen Anti-Terror-Spezialeinheit „Sajeret Matkal“. Er sagt: „Die Eliminierung von Hamas-Chef Yahya Sinwar war ein großer Erfolg für uns. Doch wir dürfen uns keine Illusionen machen. Die Hamas wird weiterhin ihre Ziele verfolgen und Israel zerstören wollen.“

„Hamas würde Machtvakuum ausnutzen“

► Barak weiter: „Wir können es nach dem 7. Oktober nie wieder zulassen, dass diese Organisation im Gazastreifen erneut an die Macht kommt. Israel kann sich nicht zurückziehen und vor Ort ein Machtvakuum hinterlassen. Das würde die Hamas sofort ausnutzen.“

Laut Barak könne sich Israel erst dann aus dem Gazastreifen zurückziehen, „wenn eine legitime Körperschaft, die nicht die Hamas ist, die Macht übernimmt“. Den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Joe Biden, eine Koalition arabischer Staaten könne die Macht übernehmen, hält der Ex-Premier für einen „Plan, der verfolgt werden sollte“.

Später könne eine Übergabe an eine neu geschaffene palästinensische Behörde erfolgen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hamas auf die Ägypter oder Katarer schießen wird, die den Gazastreifen versorgen und wiederaufbauen werden“, erklärte Barak.

Schlag gegen Iran war ein Erfolg

Israels Schlag gegen das Mullah-Regime am vergangenen Samstag, bei dem insgesamt 20 Ziele im Iran angegriffen wurden, sieht der Barak als einen strategischen Erfolg an. Aktive Atomanlagen oder Ölfelder waren nicht angegriffen worden.

„Es war ein völlig legitimer Schlag und eine starke Antwort auf den Angriff des Iran auf Israel. Wir haben Teheran eine Eskalationsdominanz gezeigt“, sagt Barak. Natürlich habe man auch Rücksicht auf die USA nehmen müssen, so der israelische Ex-Premier.

Wird der Iran jetzt erneut Israel angreifen? Barak: „Das kann ich nicht sagen. Ich glaube, dass können die Machthaber im Teheran momentan selbst nicht sagen.“

Barak sieht Chance für Diplomatie

Dass Israel keine iranischen Atomanlagen angegriffen hat, hält der Politiker nicht für eine verpasste Chance. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir das Atomprogramm mit einem Schlag entscheidend hätten stoppen oder für einen längeren Zeitraum aufhalten können“, sagt er. „Es ist wahrscheinlich schon zu spät für Israel, das Programm allein abzuschließen.“

Um das iranische Atomprogramm erfolgreich stoppen zu können, sei „eine enge Koordination und Zusammenarbeit mit den USA und den benachbarten sunnitischen Autokratien“ erforderlich, so Barack.

Auch im Libanon sieht Barak eine Chance, die Kämpfe durch diplomatische Bemühungen zu beenden. „Die Hisbollah ist im Moment in einer schwachen Position. Mehrere ihrer Anführer sind ausgeschaltet worden. Die israelische Armee ist derzeit dabei, die Infrastruktur der Miliz im Grenzgebiet zu zerstören.“

Sobald dies geschehen sei, könne die internationale Gemeinschaft eine Vermittlerrolle einnehmen. „Wir brauchen jedoch eine besser organisierte Truppe vor Ort als die derzeitige Unifil“, so Barak. Nach Wunsch der Vereinten Nationen soll die UN-Friedenstruppe die Schaffung einer entmilitarisierten Zone zwischen Israel und dem Libanon überwachen.