Seit fast zwei Wochen fehlt jedwedes Lebenszeichen des algerisch-französischen Islam-Kritikers Boualem Sansal (75)!

Der preisgekrönte Schriftsteller (u.a. Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2011) wurde am 16. November nach einem Flug von Paris nach Algier bei der Einreise auf dem Flughafen der algerischen Hauptstadt von der Militärpolizei verhaftet.

Es erinnert an Putin-Methoden: Seitdem hat seine Familie (seine Frau und die beiden Töchter) und seine Verlage (unter anderem der deutsche „Merlin Verlag“) nichts mehr von Sansal gehört.

Fakt ist: Der in Frankreich als „Spracherneuerer“ gefeierte Autor ist im flächenmäßig größten Land Afrikas eine teils verhasste Figur. Denn er kritisiert in seinem Werk, aber auch öffentlich, ganz unverblümt die Machtausübungen des Islam und auch das algerische Regime.

Immer wieder warnte er vor allem die westlichen Gesellschaften vor den Auswüchsen des Islamismus. Außerdem für Viele skandalös: Sansal vertritt einige proisraelische Ansichten und thematisiert in seinen Roman den Holocaust (2009: „Das Dorf des Deutschen oder das Tagebuch der Brüder Schiller“).

Als BILD ihn 2017 traf, war er bereits darauf gefasst, dass er verhaftet werden könnte.

Erinnert an Nawalny-Verhaftung

► In seinen Romanen „Der Schwur der Barbaren“ und „2084: Das Ende der Welt“ vergleicht er den politischen Islam mit den Machenschaften der Nazis. Klar ist: Mit seinen Positionen hat sich Sansal mächtige Feinde in der islamischen Welt gemacht; Sansal bekommt seit Jahren Morddrohungen von Fundamentalisten. Seine Bücher sind in Algerien mittlerweile verboten.

In einem Interview in der WELT (gehört wie BILD zu Axel Springer) erklärte er, dass er vor den französischen Islamisten mehr Angst habe als vor den algerischen.

Über jeder Inhaftierung eines Intellektuellen oder Dissidenten durch eine autoritäre Macht schwebe heutzutage „der Schatten von Alexej Nawalny (†47)“, schreibt die „NZZ“ zum Fall Sansal. Bittere Parallele: Auch Nawalny wurde am Flughafen (Moskau) verhaftet – und auch Sansal muss jetzt mit dem Schlimmsten rechnen (Nawalny wurde gefoltert, starb in einem Gulag). Dabei war ihm bewusst, dass er auf der schwarzen Liste des algerischen Geheimdienstes stand.

Hat Macron die Verhaftung mitprovoziert?

Auffällig: Sansals Verhaftung erfolgt zu einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien neuen Spannungen ausgesetzt sind.

Denn: Emmanuel Macron (46) erklärte im Oktober bei einem Marokko-Besuch, dass er die Souveränität des algerischen Erzfeindes über die umstrittene Westsahara befürwortet und verärgerte damit Algerien, das die Unabhängigkeitsfront Polisario unterstützt – also eigene Ansprüche auf das Gebiet hegt.

► Frankreich fordert seine Freilassung: Sansal-Fan Macron sei „sehr besorgt“ über die Gefangennahme, heißt es. „Die Inhaftierung eines Schriftstellers französischer Nationalität ohne triftigen Grund ist inakzeptabel“, sagte Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot (41).

Brisant: Sansal hat sich kürzlich in einem Interview mit einem französischen YouTube-Kanal zum Marokko-Algerien-Grenzkonflikt geäußert und dabei die marokkanische Position bezogen. „Als Frankreich Algerien kolonialisiert und Marokko unter seinem Protektorat stand, hat es eine wahllose Linie gezogen und den ganzen Osten Marokkos Algerien zugeschlagen“, so Sansal.

Spätestens diese Wortmeldung ist dem Kritiker jetzt zum Verhängnis geworden.