In Davos stellt Merz sein Programm vor, wie er es in Deutschland nicht tun würde

Es lässt sich darüber streiten, ob das Weltwirtschaftsforum (WEF) der beste Ort für den deutschen Wahlkampf ist. Für viele potenzielle Wähler ist das Davoser Treffen eine Veranstaltung abgehobener Eliten, auf dem nicht wirklich die drängenden Probleme des Otto-Normal-Deutschen behandelt werden. Insofern sind Bilder vom WEF im eigenen Land nicht unbedingt vorteilhaft für den heimischen Wahlkampf. Doch das schreckt die drei Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU) und Robert Habeck (Grüne) nicht davon ab, in die Schweizer Hochalpen zu kommen, und auch ein wenig in eigener Sache zu trommeln.

Während Bundeskanzler Olaf Scholz eher abgekämpft ein paar seiner Wahlkampfschlager herunterspulte, präsentierte sich der in den Umfragen führende Friedrich Merz beim Weltwirtschaftsforum durchaus als entschlossener und siegesgewisser Kandidat. „Wir liegen in den Umfragen weit vorn. Sie sehen mich hier sehr glücklich und optimistisch“, eröffnete Merz seine Rede und hinterließ dabei wenig Zweifel daran, wie er sich selbst sieht: als einen Mann mit einem Plan, der das Land aus der aktuellen Krise führen könnte. Seine zentrale Botschaft: Deutschland müsse zurück auf den Erfolgspfad, vor allem wirtschaftlich, vor allem die Industrie. „Die Industrie macht ein Viertel unserer Wirtschaft aus – sie ist das Rückgrat. Wir müssen alles tun, um sie zu schützen und zu stärken.“

Mit markigen Worten stellte er in Davos sein Programm vor, dass er dem heimischen Publikum so nicht präsentieren würde. Etwa zur Migration. „Wir werden die Zuwanderung durch Familiennachzug sofort stoppen“, sagte er. 500.000 Menschen seien in den vergangenen Jahren völlig unkontrolliert nach Deutschland gekommen. „Das würden wir sofort stoppen.“ Und er kritisierte die scheidende Rest-Regierung auch auf anderen Politikfeldern: Die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke bezeichnete Merz erneut als „großen Fehler“. Die Union sei bereit, diese Entscheidung zu revidieren und sogar über neue Atomkraftwerke nachzudenken. Gleichzeitig forderte er tief greifende Einschnitte in die Bürokratie: „Wenn ich Kanzler bin, würde ich mich jeden Tag fragen: Was können wir tun, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken?“

Tatsächlich ist Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit zurückgefallen. Sichtbar wird das bei der Arbeitsproduktivität. Aller technischen Neuerungen zum Trotz werden Deutschlands Beschäftigte unproduktiver. Die Welt erlebt seit Ende 2022 mit Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) eine technologische Revolution. Beschäftigte hierzulande bringen die vermeintlichen Effizienzgewinne aber nicht auf die Straße. Insbesondere zu den USA geht die Schere immer weiter auseinander.

„Kein europäischer Regierungschef sollte solo nach Washington gehen“

Die SPD forderte Merz auf, beim Sozialstaat wieder zur Vernunft zu kommen. „Wir müssen den Arbeitsmarkt reformieren“, sagte er. Das Bürgergeld gehöre abgeschafft. „Wir müssen mehr Leute in den Arbeitsmarkt bringen.“ Dennoch ließ Merz durchblicken, dass er sich eine Zusammenarbeit mit der SPD vorstellen kann: Spanien mache gerade vor, dass „selbst Sozialdemokraten Wachstum ermöglichen können“.

In der Europa-Politik präsentierte sich Merz als Verfechter einer geeinten und strategisch handelnden Europäischen Union. „Kein europäischer Regierungschef sollte solo nach Washington gehen“, warnte er. Die EU müsse ihre Interessen geschlossen vertreten, insbesondere in Verhandlungen mit den USA. Der CDU-Vorsitzende erinnerte an die Handelsstreitigkeiten unter Donald Trump im Jahr 2018, als die EU aus einer „Position der Stärke“ verhandelt und Vergeltungszölle auf strategische amerikanische Produkte wie Levis Jeans, Whiskey und Harley verhängt habe – ein Ansatz, den er auch für die Zukunft propagiert.

US-Präsidenten Trump nannte er einen „Dealmaker“, mit dem man zwar reden müsse, der aber in erster Linie amerikanische Interessen verfolge. Mit einer Mischung aus Pragmatismus und Realismus plädierte Merz für Verhandlungen, ohne dabei die eigenen Positionen zu verwässern. Im Zweifel könne Europa auf das gute Verhältnis von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu Trump aufbauen. „Ich kann die Zurückhaltung Europas gegenüber Giorgia Meloni nicht verstehen“, sagte Merz.

Mit seinem Davos-Auftritt dürfte Merz im heimischen Wahlkampf kaum gepunktet haben, bei dem einen oder anderen Davos-Teilnehmer dagegen schon. Seine klare Agenda – von einer Rückkehr zur Atomkraft über eine tief greifende Bürokratiereform bis hin zu einer härteren Migrationspolitik – dürfte bei Investoren und Wirtschaftslenkung gut ankommen. Der ehemalige Siemens-Chef und heutige Siemens-Energy-Aufsichtsratvorsitzende Joe Kaeser hat eine klare Meinung zum ausgelagerten Wahlkampf in Davos. „Also, wenn sie wegen des Wahlkampfs hierhergekommen sind, dann wären sie besser zu Hause geblieben.“

Olaf Gersemann und Holger Zschäpitz berichten vom Weltwirtschaftsforum 2025 in Davos.