Aus Freude am Job länger arbeiten? Das ist für immer mehr Ruheständler in Deutschland ein Märchen. Denn jeder dritte erwerbstätige Rentner muss weiterarbeiten, weil er sonst nicht über die Runden kommt – 16 Prozent sogar in Vollzeit (mehr als 40 Stunden).
Die Zahl der arbeitenden Ruheständler steigt schon seit Jahren: Laut einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts im Auftrag vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), die BILD exklusiv vorliegt, gab es im Jahr 2023 in Deutschland schon 599.000 Erwerbstätige über 70 Jahre, 2020 waren es noch 469.000.
Dass es immer mehr arbeitende Rentnerinnen und Rentner in Deutschland gibt, ist erst einmal nicht überraschend. Denn mit den Babyboomern gehen jedes Jahr auch immer mehr Menschen in den Ruhestand. Aber: Die Auswertung zeigt, dass die Zahl der Erwerbstätigen seit einigen Jahren überproportional stark ansteigt.
„In vielen Fällen keine freie Entscheidung“
Waren im Jahr 2020 noch 3,7 Prozent der über 70-Jährigen erwerbstätig, stieg ihr Anteil bis 2023 um 17 Prozent. Ein klarer Trend nach oben, denn in den Jahren dazwischen nahm die Zahl der arbeitenden Rentnerinnen und Rentner kontinuierlich zu.
Das sei „erschreckend, weil es in vielen Fällen eben keine freie Entscheidung ist, im Rentenalter weiterzuarbeiten“, sagt die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht (55) zu BILD. „Die Wahrheit ist: Das dürftige Rentenniveau zwingt Hunderttausende zur Arbeit.“
Immerhin: Auch die Freude an der Arbeit spielt für 29 Prozent der arbeitenden Menschen zwischen 65 bis 74 Jahren eine Rolle. Das ergab eine Mikrozensus-Befragung des Statistikamtes von Anfang Oktober. Mit 33 Prozent ist die Gruppe der Rentnerinnen und Rentner, die aus finanzieller Notwendigkeit arbeiten, aber am größten.
BSW will Rentensystem wie in Österreich
Wagenknecht zu BILD: „Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Unternehmen Erfahrung und Kompetenz der älteren Generation nutzen. Aber die gesetzliche Rente sichert nicht mehr den Lebensstandard und zwingt deshalb viele Menschen zur Maloche bis zum Lebensende.“
Die BSW-Chefin plädiert deshalb für ein Rentensystem wie in Österreich. Dort seien die Renten für langjährig Versicherte rund 800 Euro im Monat höher. Einfach übernehmen lässt sich das System laut Experten aber nicht. Denn: Alle Bürger (auch Beamte, Selbstständige, Abgeordnete) zahlen in Österreichs Rentenkasse ein – und der Beitragssatz ist höher.