In der Ukraine ist diese Woche ein Name auf Social Media viral gegangen: „Agent Melania Trumpenko“. Er bezog sich auf Melania Trump,
die Ehefrau von US-Präsident Donald Trump, und wurde mit Ironie und ein bisschen Hoffnung von Ukrainerinnen und Ukrainern aufgenommen. Als stünde sie heimlich auf der Seite der Ukraine. Die First Lady, die sich zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch nie öffentlich positioniert hat.
Zuvor hatte Donald Trump in einem Interview erzählt, wie er Melania von seinem „wunderbaren Gespräch“ mit Russlands Präsident Wladimir Putin berichtet habe und sie erwidert haben soll: „Ach, wirklich? Gerade wurde wieder
eine Stadt bombardiert.“ Seitdem wird in den USA über weiblichen Einfluss im Hintergrund spekuliert.
In Kyjiw ist fast zeitgleich Julia Swyrydenko Regierungschefin geworden. Die
39-jährige Ökonomin und bisherige Vize-Regierungschefin wurde am 17.
Juli mit der Führung der ukrainischen Regierung betraut, nachdem
Ex-Premierminister Denys Schmyhal sein Amt nach mehr als fünf Jahren – ein
Rekord in jüngerer Zeit – abgegeben hatte. Das Kabinett wurde nach
Schmyhals Rücktritt automatisch aufgelöst.
Auf den ersten Blick sieht es nach viel Bewegung in der Politik aus, doch bleibt vieles beim Alten. Wie ihr Vorgänger ist auch Swyrydenko professionell, erfahren, aber kein politisches Schwergewicht. Der ukrainische Politologe Wolodymyr Fessenko brachte es in einem Interview mit der ZEIT auf den Punkt:
Swyrydenko arbeitete bereits im Präsidentenbüro, sie gilt als Vertraute von Andrij Jermak, dem einflussreichen Chef des Präsidentenbüros. Ihre Ernennung war laut Medienberichten bereits vor mehr als einem Jahr geplant, doch Präsident Selenskyj habe Zweifel gehabt, ob sie für die Hauptrolle in der Regierung bereit sei, sagte Fessenko.
Dass sie nun die Regierungsspitze übernimmt, hat vor allem mit der internationalen Lage zu tun – insbesondere mit Blick auf die USA. Swyrydenko verhandelte mit den USA ein Rohstoffabkommen, das Ende April dieses Jahres in Washington unterzeichnet wurde. Der ehemalige ukrainische Wirtschaftsminister Tymofij Mylowanow bezeichnete sie als Schlüsselfigur der Gespräche. Sie sei sehr effizient und bewahre auch unter Druck die Nerven, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Kurz vor Swyrydenkos Ernennung traf Selenskyj den US-Sondergesandten Keith Kellogg in Kyjiw. In der Ukraine hofft man offensichtlich, dass die neue Regierungschefin einen direkten Draht nach Washington haben könnte. Trump hielt sich bislang als möglicher Vermittler im russischen Angriffskrieg zurück und wollte keine Partei ergreifen. Zuletzt aber wurde seine Haltung gegenüber Russland kritischer. Der US-Präsident sprach sich für neue Waffenlieferungen aus – allerdings nicht aus amerikanischen Mitteln, sondern auf Kosten der europäischen Nato-Staaten.
In ihrer ersten Erklärung als Premierministerin setzte Swyrydenko klare
Prioritäten:
Angesichts des andauernden Krieges sei keine Zeit zu verlieren. So nannte sie für die kommenden sechs Monate als Hauptaufgaben den Ausbau der Rüstungsproduktion, die sichere Versorgung der
Armee sowie die technologische Modernisierung der Streitkräfte.
Manche politische Beobachter, auch Politikwissenschaftler Oleksij Haran, sehen in Swyrydenko das Potenzial, neue Lösungsansätze in die Regierung zu bringen. Sie sei voller Energie, sagte Horan im Interview mit der Deutschen Welle. Doch höchstwahrscheinlich bleibt sie, wie ihr Vorgänger, an den Kurs des
Präsidentenbüros gebunden.
Ihre Loyalität gegenüber Jermak wird in der aktuellen Debatte über die Regierungsbildung von niemandem ernsthaft infrage gestellt.
„Sie ist eine gute Umsetzerin“, urteilte der Politologe Fessenko.
„Jermak weiß ihre maximale Bereitschaft zu schätzen,
Anweisungen auszuführen.“ Auch Präsident Selenskyj misst seine
Ministerinnen und Minister vor allem daran, wie zuverlässig sie seine
Vorgaben umsetzen – nicht an eigenständigen politischen Profilen.
Kritiker sehen darin ein systemisches Problem: Die wichtigsten
Entscheidungen werden weiterhin im Präsidentenbüro getroffen, die
Kabinettsumbildung bleibt mehr Fassade als echter
Wandel. Damit wird Swyrydenko im Schatten des Chefstrategen des Präsidenten bleiben,
der zentrale Weichenstellungen und Personalentscheidungen nach wie vor
maßgeblich lenkt. Die Kabinettsumbildung verändert so weniger die
tatsächlichen Machtverhältnisse, als vielmehr ihre äußere Erscheinung.
Bemerkenswert ist auch die kompakte Struktur des neuen Kabinetts: Mit derzeit
nur 16 Mitgliedern ist es so klein wie nie zuvor – ein Rekord in der
ukrainischen Geschichte. Ob diese Verschlankung mehr Effizienz bringen wird oder noch größere Kontrolle der Regierung vom Präsidenten bedeutet, werden wir sehen. Zum Beispiel wurde das Ministerium für strategische Industriezweige dem Verteidigungsministerium untergeordnet. Die Kontrolle für Verteidigung übernahm der Ex-Premierminister und erfahrene Manager Schmyhal. Ein interessantes Experiment ist laut Experten die Gründung eines Megaministeriums, in dem das „alte“ Wirtschaftsministerium, das Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium zusammengefasst werden. BBC-Korrespondent Swjatoslaw Chomenko sagte dazu:
„Ob dies gut oder schlecht ist, ist nicht klar: In der jüngeren
Geschichte der Ukraine gab es zahlreiche Beispiele für die
Zusammenlegung und Aufteilung von Ministerien, und tatsächlich hat das
System der Staatsmacht nie eine ideale Konfiguration gefunden. Wie wir
sehen, sind Fusionen jetzt wieder in Mode.“
Die Zitate: Zwischen Frist und Frust
Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, Vitali Klitschko, hat sich mit den jüngsten Entscheidungen von US-Präsident Donald Trump nicht besonders zufrieden gezeigt. Besonders die von Trump gesetzte 50-Tage-Frist für eine
Friedensvereinbarung zwischen Russland und der Ukraine – die bis Anfang September gelten soll – stößt bei
Klitschko auf Unverständnis. Zudem kritisierte er am 14. Juli in der ARD-Talkshow die zögerliche Haltung des US-Präsidenten.
Klitschko sieht in diesem Zeitfenster eine Gefahr: Russland könne
militärisch aufrüsten und weitere Zivilisten würden getötet. Der Bürgermeister machte deutlich, was auf dem Spiel steht:
Klitschko forderte deshalb nicht nur zusätzliche Waffenlieferungen,
sondern auch härtere Sanktionen gegen Russland. Aus seiner Sicht
erzeugen nur konsequente und schnelle Maßnahmen die nötige Abschreckung
gegenüber Russland.
Nach wochenlanger Uneinigkeit haben sich die EU-Staaten am 18. Juli auf ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland verständigt – das mittlerweile 18. seiner Art. Es soll insbesondere die russischen Einkünfte aus dem Export von Öl in Drittstaaten reduzieren und den russischen Finanzsektor treffen.
Zuvor hatten Malta und vor allem die Slowakei ihre Zustimmung verweigert. Die Regierung in Bratislava nutzte die Abstimmung als Druckmittel, um Ausnahmen bei langfristigen Energieverträgen mit Russland durchzusetzen. Premierminister Robert Fico forderte eine Sonderregelung, die Gaslieferungen aus dem bestehenden Vertrag mit Gazprom bis 2034 absichert – und stellte sich damit offen gegen das EU-Ziel, russisches Gas spätestens bis 2028 vollständig zu ersetzen.
Die weiteren wichtigen Meldungen:
- Zensur fürs Denken und Lesen: Das russische Parlament hat
eine weitreichende Gesetzesänderung verabschiedet, die erstmals nicht
nur die Verbreitung, sondern bereits die gezielte Suche nach sogenannten
„extremistischen Materialien“ im Internet unter Strafe stellen soll.
Auch die Werbung für VPN-Dienste soll künftig mit Bußgeldern
geahndet werden. Die Änderungen treten am 1. September 2025 in
Kraft. Das Gesetz sieht für diese Ordnungswidrigkeiten Geldstrafen von bis
zu 80 Euro für eine Privatperson vor, für juristische Personen und
Staatsbeamten werden Strafen höher gesetzt. Experten und selbst regierungsnahe Aktivisten warnen vor weitreichenden Folgen: Die neue Regelung könnte als Grundlage für
willkürliche Strafverfolgung dienen. „Das ist kein Verbot des Publizierens mehr, sondern des Lesens und
Denkens“, kommentierte der Medienrechtler Sergej Markow im Sender BBC.
- Sommeroffensive auch in der Region Saporischschja: Russland hat laut Militärexperten Anfang Juni eine neue Sommeroffensive in der südukrainischen Region Saporischschja begonnen. Nun mehren sich Berichte über Truppen- und Materialverlegungen nahe Wasyliwka und Kamjanka. Petro Andrjuschtschenko vom Zentrum für Besatzungsstudien sieht darin Anzeichen für eine bevorstehende Angriffswelle. Ziel sei es, sowohl die Zivilbevölkerung durch Beschuss zu destabilisieren als auch in Richtung Dnipropetrowsk vorzurücken, um neue Gebietsansprüche zu legitimieren.
- Waffen ja – aber nicht auf US-Kosten: US-Präsident Donald Trump und Nato-Generalsekretär Mark Rutte haben sich auf die Waffenlieferungen an die Ukraine verständigt. Geliefert werden sollen unter anderem moderne Patriot-Flugabwehrsysteme. Finanziert werden die Lieferungen allerdings nicht aus US-Mitteln – sondern von europäischen Nato-Staaten. „Wir werden Waffen der Spitzenklasse herstellen und sie an die Nato liefern“, sagte Trump. Deutschland zählt zu den Ländern, die sich an der Finanzierung beteiligen sollen.
- Mega-Deal über Drohnen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den USA ein
Tauschgeschäft vorgeschlagen. Die USA sollen ukrainische Drohnen kaufen, im
Gegenzug will die Ukraine US-Waffen erwerben. Selenskyj sagte, ukrainische Drohnen mit bis zu 1.300 Kilometern Reichweite seien ein
entscheidendes Instrument im Krieg gegen die russische Invasion. Er
sei bereit, seine Erfahrungen mit moderner Kriegsführung mit den USA und europäischen Partnern zu teilen. Das
mögliche Abkommen ist Teil neuer Verteidigungskooperationen, die
Selenskyj kürzlich im Parlament ankündigte.
- Erfolg gegen Cyberkriminelle: In einer koordinierten Aktion haben Ermittlungsbehörden das weltweite Servernetz der prorussischen Hackergruppe NoName057(16) zerschlagen. Das Bundeskriminalamt teilte mit, es seien 24 Objekte in mehreren Ländern durchsucht, Hunderte Server beschlagnahmt und sechs Haftbefehle gegen mutmaßliche Täter erlassen worden. In Deutschland steht die Gruppe hinter rund 250 Angriffen auf Unternehmen und Institutionen, darunter Rüstungs- und Energieunternehmen, Behörden und Verkehrsbetriebe. Ziel der Attacken: gezielte Destabilisierung des politischen und gesellschaftlichen Klimas in Europa.
- Made in Ukraine: In den kommenden sechs Monaten will die Ukraine ihre Waffenproduktion deutlich ausbauen. Der Anteil heimischer ukrainischer Waffen solle auf 50 Prozent erhöht werden,
sagte Präsident Selenskyj in am Mittwoch. „Ich bin zuversichtlich, dass dies erreichbar ist, wenn
auch nicht einfach.“ Derzeit liegt der Anteil ukrainischer Waffen an der Front und bei Einsätzen demnach bei etwa 40 Prozent.
- Ermittlungen gegen Korruptionsbekämpfer:
In der Ukraine haben Ermittler ein Verfahren gegen Witalij Schabunin eingeleitet – Leiter des renommierten Zentrums zur Bekämpfung der Korruption und prominenter Aktivist der Zivilgesellschaft. Ihm wurde vorgeworfen, sich dem Militärdienst entzogen und ein für die Armee bestimmtes Fahrzeug privat genutzt zu haben. Schabunin, der freiwillig im Militär dient, wies die Vorwürfe zurück. Beobachter und Medien im Land reagierten alarmiert – viele werteten das Verfahren als potenziellen Einschüchterungsversuch gegen unbequeme Stimmen.
Waffenlieferungen und Militärhilfen:
- Transportradpanzer: Die lettische Regierungschefin Evika Siliņa hat bei einem Besuch in Kyjiw 15 Transportradpanzer an die ukrainische Armee übergeben. Das teilten die lettische Staatskanzlei und
das Verteidigungsministerium in Riga mit. „Die Unterstützung Lettlands für die Ukraine besteht nicht nur aus Worten, sondern aus konkreten Taten“, sagte Siliņa demnach.
- Die USA haben ihre Prioritäten bei der Lieferung von Patriot-Flugabwehrsystemen neu geordnet – zugunsten der Ukraine. Wie das Schweizer Verteidigungsministerium mitteilte, wurde die Regierung in Bern vom Pentagon offiziell darüber informiert, dass sich die geplante Auslieferung von fünf Patriotsystemen deshalb verzögern wird. Die Schweiz hatte die Systeme bereits 2022 bestellt, die Lieferung war ursprünglich zwischen 2026 und 2028 geplant. Ob sich auch die Lieferung der dazugehörigen Raketen verzögert, ist bislang unklar.
- Die Ukraine hat im Rahmen einer tschechischen Hilfsinitiative im Jahr 2025 bisher 850.000 Stück großkalibrige Munition erhalten, darunter 320.000 155-mm-Granaten. Das teilte das tschechische Verteidigungsministerium am Dienstag mit.
- Deutschland will die Ukraine mit weitreichendenRaketen „in hoher dreistelliger Stückzahl“ unterstützen. Das kündigte Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Sonderstabs Ukraine im Verteidigungsministerium, im an. Die Lieferung ist Teil der neuen deutschen Militärhilfe und soll kurzfristig, eventuell schon im Sommer, erfolgen. Ziel sei es, die ukrainische Armee „langfristig und nachhaltig“ zu stärken, sagte Freuding.