Ihren Hass zelebriert sie, als wäre er eine Form der Wollust

Shakespeares Richard III. ist eine der finstersten Figuren
der Dramenliteratur – der Stellvertreter des Teufels auf unseren Bühnen.
Schauspieler, denen die Rolle anvertraut wird, sind geschmeichelt, ja sie
fühlen sich sogar geadelt. Nur die Besten dürfen den Widerling spielen. Es gilt,
einen Mann darzustellen, der ganz in der Verstellung lebt, Intrigen spinnt, aus
Berechnung verführt, sich geduldig an die Macht mordet – und bei all dem immerzu
sich selbst beobachtet und das eigene Handeln höhnisch kommentiert. Als diente
das Diabolische, das er ausheckt, vor allem seiner eigenen Unterhaltung.

Gert Voss, Thomas Thieme, Kenneth Branagh, Ian McKellen
haben diesen König der Tücke schon dargestellt, Lars Eidinger spielt ihn seit
zehn Jahren an der Berliner Schaubühne. Und Kevin Spaceys Präsident Frank
Underwood, der aasige Finstermann aus der Serie , der gern direkt
zum Publikum spricht wie zu Verbündeten, wäre ohne Richard III. undenkbar. Richard
ist eine klassische Männerrolle, und meist wird seine Verdorbenheit damit
begründet, dass er ein hässlicher, verkrüppelter, von den Frauen gefürchteter
und gemiedener Kerl sei, der aus schierer Rachlust nach oben will.

Und nun sehen wir den Film . des 44-jährigen
Regisseurs Burhan Qurbani (dessen Eltern aus Afghanistan stammen, der aber im
Schwäbischen sozialisiert und an der Filmhochschule Ludwigsburg zum
Filmregisseur ausgebildet wurde) – und hier ist Richard eine junge, zierliche
Frau namens Rashida.

Qurbani versetzt das Drama aus dem elisabethanischen England
ins Berliner Clanmilieu von heute. Und seine Drehbuchautorin, die deutsche
Dramatikerin und Essayistin Enis Maci, schreibt Shakespeares Stück aus dem Jahr
1593 relativ behutsam fort in unsere Gegenwart. Schlimmste Befürchtungen der
rechten Wählerschaft sind in schon wahr geworden; hier
blüht eine von kriegserprobten arabischen Migranten beherrschte
Parallelgesellschaft, welche der sogenannten Mehrheitsgesellschaft an Mut,
Virilität, Entschlossenheit überlegen ist. Zudem ist dieses Milieu auch
intellektuell weit vorn: Es spricht eine präzise, rhetorisch geschliffene
Hochsprache, die allerdings von Verwünschungen und Drohungen durchgeschüttelt
wird.

Inmitten dieser von charismatischen Gangstern beherrschten
Welt lebt Rashida, die äußerlich zarte Tochter des York-Clans. Sie ist, ohne
dass die anderen es ahnen, die Zäheste, Verschlagenste, Brutalste von allen. In
einer frühen Szene sieht man sie allein vor dem Spiegel stehen. Sie greift sich
an die Brüste und sagt in kaltem Zorn: „Betrogen durch Geburt um jeden
Vorteil!“ Den Nachteil, eine Frau zu sein, wird sie wettmachen durch
diabolische Schläue. Sie löscht Widersacher, Freunde, Verwandte aus, bis sie
ganz oben ist, und ihren Hass zelebriert sie, als wäre er eine Form der
Wollust: flüsternd, hauchend, verführerisch.

Gespielt wird Rashida grandios von der Syrerin Kenda
Hmeidan, die bis 2015 in Damaskus gelebt hat, erst seit wenigen Jahren Deutsch
spricht und derzeit dem Ensemble des Berliner Gorki Theaters angehört. Wie sie
die Rolle meistert, wie sie noch die kleinsten Seufzer mit der Autorität einer
deutschen Muttersprachlerin moduliert, ist faszinierend. Ihre Rashida
zelebriert den Mord als intimen Akt. Jemanden zu vernichten, ist für sie, als
habe sie denjenigen „gehabt“, also lustvoll erobert. Zweimal wird sie in diesem
Film angespuckt auf ihrem Weg zur Macht, und was tut sie? Sie wischt sich den
Speichel aus dem Gesicht und leckt ihn sich von den Fingern: Der Hass der
anderen gibt ihr Zuversicht, dass sie siegen wird.

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