„Ich strahle Liebe aus“

DIE ZEIT: Herr Lietha, bevor ich hierhergekommen bin, wollte ich mir Ihre Musik anhören. Aber das war gar nicht so einfach: Wenn man im Internet Ihre Lieder sucht, findet man nichts.

Walter Lietha: Es ist gut, wenn man nicht alles serviert bekommt. Wenn die Leute meine Musik nicht finden, liegt das an ihnen, nicht an mir. Ich musste auch zu den Fahrenden gehen, um ihre Musik zu entdecken.

ZEIT: Schon als Kind hat Sie die Musik der Fahrenden geprägt.

Lietha: Ich bin in einem musischen Umfeld aufgewachsen, wir haben oft zusammen gesungen. Schon mein Ururgroßvater sammelte Bündner Volkslieder. Als Sechsjähriger habe ich auf einem meiner Streifzüge einen Rastplatz von Fahrenden entdeckt. Die Kinder dort nahmen mich sofort auf. Sie hatten Freude, dass jemand kommt, der keine Angst vor ihnen hat. Und dann war da diese Musik, die mich verzauberte.

ZEIT: Eines Ihrer bekanntesten Lieder heißt Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger singt es heute noch.

Lietha: Die Fahrenden haben ein absolut natürliches Verhältnis zur Klangwelt und zu ihren Instrumenten. Sie brauchen keine Noten. Als Kind hörte ich die Sendung auf Radio France 2. Alle drei Wochen fuhr der Moderator Arno Stern mit seinem Deux Chevaux von Paris nach Andalusien und zeichnete Flamenco auf. Das war für mich eine Offenbarung. Später reiste ich selbst nach Spanien, um diese großartige Musik kennenzulernen.

ZEIT: Was haben Sie gesucht?

Lietha: Ich habe in meinem Leben nie etwas gesucht. Ich war oft unterwegs, mit Schlafsack und Gitarre. war mein Vademecum, das Buch von Jack Kerouac, dem Vater der Beat Generation. Später, in San Francisco, tauchte ich selbst in die Bewegung ein und lernte Leute wie Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und Gregory Corso kennen.

ZEIT: Wie wurde aus dem Globetrotter mit Schlafsack und Gitarre der Protestsänger, dessen Lieder in den WG-Küchen liefen?

Lietha: Das müssen Sie diesen Mann fragen. Ich habe keine Ahnung, von wem Sie reden.

ZEIT: Nach dem Gymnasium in Zürich und einer Buchhändlerlehre lebten Sie ein paar Jahre in Amsterdam und wurden dort von CBS-Reportern aus New York entdeckt, die mit Ihnen Musik aufnehmen wollten.

Lietha: Ich sang damals Lieder auf Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Jiddisch, und ich schrieb englische Songs, die ziemlich gut waren. Irgendwann kam diese Anfrage …

ZEIT: … die Sie ablehnten.

Lietha: Ich wollte nie berühmt werden und hatte Mühe mit der Musikindustrie und dem amerikanischen Kulturimperialismus.

ZEIT: Später gingen Sie dann doch ins Studio und nahmen 1974 bei der Schweizer Ländlerformation Trio Eugster Ihr erstes Album auf.

Lietha: Alex Eugster hat mich singen gehört und gesagt, er würde meine Musik gern produzieren. Er gab mir freie Hand und ließ mich die Lieder aufnehmen, die ich schon ein Leben lang gesungen hatte – in meinem Churerdialekt.

ZEIT: Mitte der Siebzigerjahre war die Schweizer Popmusikszene noch sehr überschaubar. Sie stachen bald heraus.

Lietha: Damals haben nur Mani Matter und die Berner Chansonniers in Dialekt gesungen. Die hatten zwar gute Texte, waren musikalisch aber nicht sehr originell. Daneben gab es die gefällige Rockmusik eines Polo Hofer. Lieder aber, wie ich sie sang, kannte die Schweiz noch nicht: Folklore, Flamenco, die Musik der Fahrenden, italienische Cantautori, das jiddische Liedgut.

ZEIT: Wie würden Sie Ihre Kunst beschreiben?

Lietha: Romantisch. Im Sinne von Novalis.

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