„Ich bin jüdisch! Wieso muss ich das beweisen?“

Es gab eine Zeit, da mussten Europas Juden sich verstecken und ihre Identität verleugnen, um zu überleben. Das ist noch keine hundert Jahre her, und am gefährlichsten war es in Deutschland, wo es nur wenigen gelang, die Schoa zu überleben.

Eine dieser Überlebenden war Lilli Schlochauer. Sie überstand die Nazizeit in Berlin dank des Ausweises einer Christin, deren Identität sie annahm. Ihr Sohn Andreas Nachama, 73, Historiker und Rabbiner, ist heute einer der angesehensten Intellektuellen dieses Landes. Soeben wurde er als Jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wiedergewählt. Am Montag erzählte Nachama der ZEIT von seiner Mutter und sagte: „Warum sollen wir Juden immer wieder belegen, wer wir sind? Wer hat das Recht, uns zu fragen, ob wir jüdisch sind?“ Ja, wer?

Es ging im Gespräch mit Nachama natürlich um Philipp Peyman Engel, den Chefredakteur der Wochenzeitung dessen Herkunft dieser Tage in Zweifel gezogen wurde, tragischerweise durch den Text einer Schriftstellerin, die ihrerseits jüdisch ist. Nachama: „Das ist Rufmord. Ganz offensichtlich soll Engel als Person delegitimiert werden.“

Die Delegitimation scheint bereits im Ansatz gescheitert. Noch ehe sie sich groß verbreiten konnte, erklärte der Zentralrat der Juden in Deutschland, der die herausgibt, man stehe hundertprozentig hinter dem Chefredakteur: „Die jüdische Herkunft Engels und die seiner Mutter von Geburt an sind zweifelsfrei erwiesen.“ Die Schriftstellerin sei darüber vorab informiert worden – doch offenbar half es nichts. Sie veröffentlichte ihren Text. Daraufhin konnten deutsche Medien, auch die ZEIT, Belege einsehen, dass Peyman Engel nach orthodoxem Verständnis jüdisch ist, also Sohn einer jüdischen Mutter: von seinem Gemeinderabbiner in Zürich und von der Europäischen Rabbinerkonferenz Beth Din. Zudem ein Dokument, das seine Mutter als Mitglied der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund ausweist.

und andere zitierten die Belege, nahmen Peyman Engel in Schutz. Doch man fragt sich: Wie ginge es einem selber, wenn man plötzlich die Taufurkunde finden müsste, um nicht als Scharlatan dazustehen? Wie kann es sein, dass ausgerechnet in Deutschland einer sein Jüdischsein beweisen muss, das einst ein Todesurteil war und nun wieder lebensgefährlich ist? Am vergangenen Mittwoch wurde in Washington ein junges israelisches Paar (sie Jüdin, er Christ) erschossen, beim Fundraising für Gaza. Es war der Tag, als die Verdächtigungen gegen Peyman Engel publik wurden, der längst mit Morddrohungen lebt. „Islamisten drohen mir: Wir hacken dir die Hände ab! Auch alte deutsche Antisemiten schreiben fleißig. Israelfeinde und Judenhasser aller Art. Es gibt Momente, da ertrage ich dieses Land, mein Land!, nicht mehr.“

Die ZEIT hatte Peyman Engel um ein Interview gebeten, doch er entschied sich dagegen: „Ich fände es entwürdigend, mich selbst zu verteidigen. Es geht in Wahrheit darum, mich zu demontieren, weil meine politischen Positionen missfallen. Ich habe keinen unkritischen, aber einen unvoreingenommenen Blick auf Israel.“ Israel müsse sich gegen den Terror wehren. Anders als die Israelhasser sei er nicht der Meinung, dass Israel an allem schuld ist. „Das reicht schon, um als Feindbild zu gelten.“

Engel ist nicht der erste lautstarke Kritiker von Antisemitismus und Dschihadismus hierzulande, dessen Biografie in Zweifel gezogen wird. Auch der israelisch-deutsche Palästinenser Ahmad Mansour zum Beispiel wurde mit Verleumdungen überzogen. Bitter an Engels Fall ist, dass seine Familie mütterlicherseits aus dem Iran fliehen musste, weil sie dort nicht mehr sicher war. Die unbewiesene Behauptung lautet nun: Seine Mutter habe der Bahai-Religion angehört. Den Dokumenten zufolge eine Lüge. 

Er selbst sagt: „Meine Mutter wurde als Jüdin geboren und hat immer danach gelebt. 1967 kam sie mit ihren Eltern aus dem Iran nach Deutschland. 1979 floh die restliche Verwandtschaft nach Deutschland, Israel, Australien und in die USA. Mein Vater war ein nicht jüdischer Deutscher, getauft. Meine Mutter ist durch Geburt jüdisch. Auch ihre Eltern waren nach jüdisch orthodoxem Verständnis durch Geburt zweifelsfrei jüdisch – obwohl sie infolge antisemitischer Anfeindungen im Iran zur Bahai-Religion übertraten, blieben sie nach jüdischem Religionsrecht zeitlebens jüdisch.“ Peymann Engel und seine Frau leben ihren Glauben, die Kinder gehen in einen jüdischen Kindergarten. Er sagt: „Jüdischsein wäre für mich auschließlich Heimat, ein Schatz und Fixstern, gäbe es nicht so viele Antisemiten.“

In der Tat. Juden sind die am längsten und brutalsten verfolgte Religionsgemeinschaft der Welt. Ein Volk, verbunden auch durch Tradition und Schicksal. Rabbiner Nachama sagt: „Man muss keine jüdische Mutter haben, um als Jude nach Israel einzuwandern. Und um zu überleben, ist alles erlaubt.“

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