Hurra, die Welt geht unter

Vom Dichter T. S. Eliot stammt der Satz, dass die Welt nicht mit einem Knall untergeht, sondern im Gewimmer. Ob er recht hat, werden wir leider erst sehen, wenn’s so weit ist. Lang ist es offenbar nicht mehr hin, und nimmt man heute bereits die Unheilswarnungen ernst, die uns handelsüblich bestückte Sachbuchtische zurufen, grenzt es ohnehin an ein Wunder, dass man es in Deutschland überhaupt noch körperlich unversehrt, passabel hydriert und mit stabiler Währung in einen Buchladen geschafft hat, wo kein Chatbot, sondern echte Menschen einen noch ansprechen.

Gerade legt einer auf den Stapeln nach, da drüben in der schönen Belletristik, die sich seit einer Weile ebenfalls erhebliche Endzeitstimmung verordnet hat und den Ernst der Lage bestätigt. Da liegen seit einiger Zeit schon – abseits von ausgetüftelten, dunklen Spekulationen der Science-Fiction – jüngste deutschsprachige Romane wie bedrohliche Grüße aus nahen und ferneren Tagen. Auch im Frühjahr kamen wieder einige dazu:

Carla Kaspari erzählt in aus dem Jahr 2130. Man lebt in einer verglasten, klimatisierten Künstlerkolonie, wo die Atmosphäre ätherischer Sanftheit herrscht und ein Konzern den glücklichen Bewohnern die Hoffnung aussaugt und sie als Stoff für E-Zigaretten an die lebensmüden Existenzen im Draußen verkauft, damit die nicht auf blöde Ideen kommen. Der Roman der Wienerin Amira Ben Saoud schildert die Geschichte einer Frau in einer autoritär abgeriegelten Gemeinschaft der Zukunft.

Und auch die Schauspielerin Katja Riemann hat ihren ersten Roman geschrieben. In (S. Fischer) steht eine emotional poröse Frau (wegen Liebeskummer hauptsächlich) am Anfang circa 40 Seiten lang nackt auf der Brüstung ihres Berliner Balkons. Irgendwann ziehen Rauchschwaden über der Erde auf, flirren Heuschreckenschwärme herum, ein dichter Nebel erstickt den Alltag. Bald heißt es: „Der Planet ist in Aufruhr. Die Natur flippt aus“, was das aktuelle Lebensgefühl im Allgemeinen ja immerhin ganz gut umschreibt.

Offenbar ist es eine gute Zeit für die Dystopie. Eine Aura des Seherischen hat dieses Genre seit je umhüllt. Diesen Ruf verdankt es vor allem seinen populärsten Vertretern. Aldous Huxley schrieb seine unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise 1929, und sein Buch gilt noch immer als präzise Vorhersage, in der man unseren Konsumkapitalismus und die Biopolitik erkennt. George Orwell entwarf sein aus den Erfahrungen des europäischen Totalitarismus, der Roman zählt als das Standardwerk über den Vernichtungswillen eines Überwachungsregimes und zeigte eine repressive Sprachpolitik, zu der Rechte wie Linke seither übrigens ein recht opportunistisches Verhältnis pflegen.

Dass in realen oder real empfundenen Umbruchszeiten offenbar auch der Dystopiebedarf steigt, konnte man zuletzt sehen, als nach Donald Trumps Wahl im vergangenen November plötzlich Margaret Atwoods aus dem Jahr 1985 wieder oben auf der US-Bestsellerliste stand.

Im erwachten Bewusstsein der nahenden Katastrophe unterbricht nun das Gegenwartsromanpersonal die Champagnerlaune und hält Vorträge, wie so was eben von so was kommen wird: „Jede Weiterentwicklung auf sozialer, kultureller oder technologischer Ebene führt unter den aktuellen Umständen zu einer immer rascher heranrückenden Auslöschung. Entweder durch soziale Unruhen, Verteilungskämpfe, den Ökozid oder eine sonstige Aneinanderreihung unglücklicher Umstände.“ So steht’s etwa in dem Debüt des Münchners Timotheus Ueberall (Kremayr & Scheriau).

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