Wäre da nicht der Krieg in Europa, läge der außenpolitische Schwerpunkt von Olaf Scholz‚
Kanzlerschaft wohl bei Auftritten wie
hier in Delhi. Mit einer großen Delegation ist er in die indische Hauptstadt
gekommen. Selten erlebt man Scholz so engagiert
wie in den aufstrebenden Ländern des sogenannten Globalen Südens, mit denen es
– so sieht es dieser Kanzler – ein gerechteres und zugleich profitableres
Verhältnis zu gestalten gilt. „Die Welt des 21. Jahrhunderts ist multipolar.
Ich sehe das als Tatsache, nicht als Bedrohung“, sagte Scholz am Freitag in
Delhi bei der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft.
Der Hamburgische Kaufmann und der ewige Jungsozialist, die
beide in diesem Kanzler stecken, sind da einmal völlig im Konsens. Olaf Scholz
kommt richtig in Fahrt, wenn er über den berechtigten Anspruch der ehemals
Kolonisierten redet, am Wohlstand der Welt teilzuhaben und die Regeln der
künftigen Weltordnung mitzubestimmen.
Hoffen auf Indien
Und das führt dann wieder zum weltpolitischen Hauptthema der
Kanzlerschaft Scholz – dem russischen Krieg, und der Frage, wie er zu stoppen ist. Indien könnte eine zentrale Rolle zukommen, glaubt Olaf Scholz. Premier
Narendra Modi kultiviert seinen guten Draht zu Wladimir Putin und bietet sich zugleich als
Friedensvermittler an. Am Freitag machte Modi das bei einem gemeinsamen Auftritt mit Scholz in
Delhi so deutlich wie noch nie.
Es wäre aber naiv, dahinter nur reine Menschlichkeit zu vermuten.
Auch hier ist Machtpolitik im Spiel: Indien fürchtet eine allzu enge Allianz
des Rivalen China mit Russland. Ein russischer Sieg in der Ukraine mit chinesischer
Unterstützung könnte China in seiner Nachbarschaft noch aggressiver agieren
lassen. Zugleich kann Indien aber auch keinen russischen Kollaps brauchen, weil es
derzeit günstig Öl von Putin bekommt und auf russische Rüstungsgüter angewiesen
ist. Genau diese komplizierte Interessenlage macht Indien aus deutscher Sicht zum
interessantesten Akteur im großen eurasischen Risikospiel.
Auch in der Promi-Besetzung der deutschen Delegation spiegelt
sich dieser neue Indien-Fokus. Neben Scholz sind Robert Habeck und Annalena
Baerbock dabei, sowie Arbeitsminister Hubertus Heil und Bildungsministerin
Bettina Stark-Watzinger. Boris Pistorius fehlt krankheitsbedingt.
Dazu eine Wirtschaftsdelegation
mit Top-Unternehmen aus der Chemiebranche, Mikroelektronik, Flugtechnik, Raumfahrt und aus
dem Bereich erneuerbare Energien. Besonders auffällig: Auch mehrere Rüstungsfirmen sind dabei.
Waffenkäufe: Auf einmal geht alles
In der deutschen Rüstungsexportpolitik hat eine Schubumkehr
stattgefunden. Früher wollte man Indien nur in Ausnahmen Waffenkäufe
genehmigen, jetzt geht auf einmal alles – nach dem Motto: Jedes in Deutschland
gekaufte Waffensystem macht Indien ein Stück unabhängiger von Russland. Etwa
zwei Drittel ihrer Ausstattung haben die indischen Streitkräfte in den vergangenen
Jahrzehnten noch aus russischer Produktion bezogen. Die Partnerschaft geht
zurück bis in die Zeit der Sowjetunion. Indien will ohne öffentlichen Bruch weg
von dieser Abhängigkeit.
Die politisch-ökonomische Pilgerreise der Deutschen nach
Delhi leidet allerdings darunter, dass die Ampelkoalition daheim sich bekämpft, als sei man längst
im Wahlkampf. Habeck hatte vor seinem Abflug einen Investitionsfonds für die
Wirtschaft vorgeschlagen. Den hält man im Kanzleramt jedoch für eine Luftnummer (weil
wegen der nötigen höheren Schulden eine Verfassungsänderung erforderlich wäre).