Nach den Reden drücken die Redner gemeinsam auf den grünen Buzzer und starten symbolisch die Bauarbeiten. Ein Schwerlastkran schwenkt ein Tanksegment auf einen Betonsockel. Die Holborn Europa Raffinerie investiert auf ihrem 100 Hektar großen Gelände am südlichen Hamburger Hafenrand 457 Millionen Euro für den Aufbau einer Großproduktion für Biodiesel und Biokerosin. „Das ist die erste Anlage dieser Art in Deutschland“, sagte Geschäftsführer Lars Bergmann der WELT. Die Holborn Europa Raffinerie gehört zur niederländischen Oilinvest-Gruppe, die in Deutschland unter anderem Tankstellen der Marke HEM betreibt.
Heutzutage ist die Holborn Europa Raffinerie einer der Grundversorger für Norddeutschland und Niedersachsen bei der Produktion von Benzin, Diesel und Heizöl. Die Raffinerie hat einen Durchsatz von fünf Millionen Tonnen Rohöl im Jahr, das sie per Pipeline aus Wilhelmshaven bezieht. Bestimmte Vor- und Ergänzungsprodukte kommen zudem über die Elbe in die raffinerieeigene Hafenanlage. „Das Projekt, dessen Baubeginn wir heute feiern, ist ein wichtiger Schritt auf Holborns langfristigem Transformationsprozess, der darauf abzielt, im Rahmen unserer Wachstumsstrategie Rohöl durch alternative Rohstoffe zu ersetzen“, sagte Bergmann. „Dabei setzen wir auf erneuerbare und kreislauforientierte Lösungen. Indem wir zu einem Hersteller nachhaltiger Kraftstoffe werden, vergrößern wir unseren Einsatzbereich und implementieren innovative Technologien, die unseren CO2-Fußabdruck verringern.“
Im Jahr 2027 will die Holborn Europa Raffinerie die Produktion von jährlich bis zu 220.000 Tonnen Biosprit aufnehmen. Ja nach Bedarf kann dabei Biodiesel für Landfahrzeuge oder auch Biokerosin für die Luftfahrt produziert werden. Der Rohstoff für die Biosprit-Produktion sind zum Beispiel benutzte Speisefette, aber auch Rückstände aus der Zellstofffertigung oder Öl aus Nussschalen – jedenfalls Grund- und Reststoffe aus Industrie und Landwirtschaft, die nicht in Konkurrenz zur Herstellung von Lebensmitteln stehen.
Der Markt für solche biogenen Rohstoffe ist hart umkämpft. Auch andere Energiekonzerne wie OMV in Österreich bauen derzeit Bio-Produktionslinien für Sprit auf. Die weltweit zweitgrößte Linienreederei Maersk wiederum, die dieses Jahr den ersten Langstreckenfrachter mit Methanolantrieb in Fahrt gesetzt hat, sichert sich dafür weltweit Bio-Methanol. Bergmann sagte, innerhalb der Oilinvest-Gruppe werde eine Versorgung der Holborn Europa Raffinerie mit biogenen Rohstoffen sichergestellt. Die geplante Jahresproduktion an Biosprit in Hamburg könne dazu beitragen, im Verkehrssektor bis zu 800.000 Tonnen CO2 einzusparen.
Die neue Produktionslinie im Werk baut die Holborn Europa Raffinerie ohne öffentliche Förderung. Geschäftsführer Bergmann kritisierte die aus Sicht seines Unternehmens „inkonsistente Energiepolitik des Bundes. Wir brauchen mehr Planungssicherheit.“ Ein Problem sei die „einseitige“ und zu starke Fixierung der Bundesregierung auf die Förderung von Projekten für „grünen“ Wasserstoff. Dabei wird vom Staat der Aufbau von Elektrolyseanlagen für die Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gefördert, die mit Ökostrom vor allem aus Windparks betrieben werden.
Am Standort des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg direkt neben der Holborn Europa Raffinerie bauen die Hamburger Energiewerke gemeinsam mit dem Finanzunternehmen Luxcara bis 2026 eine Elektrolyseanlage mit 100 Megawatt Leistung auf, die künftig bis zu 11.000 Tonnen Wasserstoff im Jahr produzieren soll. Die Holborn Europa Raffinerie will, gemeinsam mit dem Quickborner Energieversorger HanseWerk, eine Elektrolyseanlage mit 25 Megawatt zur Unterstützung der Biosprit-Produktion errichten, die ebenfalls öffentlich gefördert wird.
Auch Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des Verbandes en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie, warb für Technologieoffenheit bei der Dekarbonisierung von Wirtschaft, Verkehrssystem und Gebäuden. Allein der in Deutschland erzeugbare und der künftig importierte „grüne“ Wasserstoff werde nicht ausreichen, um die angestrebten Klimaziele zu erreichen: „Wir brauchen neben der Stromwende auch eine ,Molekülwende’ in der Energiewirtschaft. 80 Prozent unserer heutigen Energieversorgung basieren auf Molekülen und Kohlenwasserstoffen. Solche Projekte wie dieses hier brauchen wir auch für die künftige Resilienz unserer Energieversorgung, die wir allein mit ,grünem’ Strom nicht erreichen können.“
Für den Hamburger Senat ist das Projekt in der Holborn Europa Raffinerie eines der Schlüsselprojekte für die Strategie, den größten deutschen Seehafen in einen deutschlandweit relevanten Hafen für erneuerbare Energien zu konvertieren. „Das hier ist ein Schritt in eine Zukunft der dekarbonisierten Industrie“, sagte Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD). „Wir haben in der Hamburger Industrie mehr als 80.000 Arbeitsplätze, und das soll so bleiben. Der Kampf gegen den Klimawandel wird nicht ohne, sondern ausschließlich mit einer leistungsfähigen Industrie funktionieren.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als 35 Jahren über die deutsche und die internationale Energiewirtschaft.