Es wird schon dunkel in Berlin, als auch Robert Habeck (Grüne) am Montagnachmittag als letzter prominenter Ampel-Vertreter vor die Kameras tritt. Und der Wirtschaftsminister hat sich vorgenommen, es FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner so schwer wie möglich zu machen, die Koalition zu beenden.
Das ganze Wochenende hatte Habeck geschwiegen, nachdem Lindner am Freitagnachmittag mit seinem Forderungspapier die Ampel noch tiefer in die Krise getrieben hatte. Habeck kommt dem FDP-Chef an diesem Montag weit entgegen. So weit, dass er Lindner zumindest einen gescheiterten Haushalt als mögliche Erklärung für den Koalitionsbruch nimmt.
Denn der Wirtschaftsminister macht dem Finanzminister gewissermaßen ein Milliardengeschenk: Eigentlich stecken die zehn Milliarden Euro, mit denen die Bundesregierung eine neue Chipfabrik von Intel fördern wollte, im Klima- und Transformationsfonds (KTF), den Habeck verwaltet. Nun will der US-Konzern das Werk nicht wie geplant bauen, doch die Grünen bestanden bislang darauf, dass das Geld unbedingt im KTF bleiben muss, es sollte nicht zurück in den Kernhaushalt fließen.
Habeck hätte am längeren Hebel gesessen, nur ein gemeinsamer Beschluss der drei Koalitionspartner kann dazu führen, dass die Milliarden doch noch zum Stopfen der Haushaltslöcher verwendet werden können. Doch Habeck gibt nach.
Es sei falsch, nur wegen des Streits um die Wirtschaftsförderung und den Haushalt die gemeinsamen Grundlagen des Koalitionsvertrages aufzukündigen, sagte Habeck. Und es sei auch gar nicht nötig. „Klar ist allerdings, dass man an vielen Stellen einen Beitrag leisten und auch ungewöhnliche Schritte gehen muss“, sagte er.
Habeck weiter: „Ich will deshalb zu den Intel-Milliarden sagen, die ja frei geworden sind: Die sind eigentlich im Klima- und Transformationsfonds dafür vorgesehen, die Wirtschaft zu unterstützen, können aber jetzt selbstverständlich einen Beitrag leisten, die Haushaltslücke zu reduzieren.“
Es ist ein klares Signal, das Habeck aussenden will: Ich lasse mir das Scheitern der Regierung nicht anhängen. Er verstehe alle „Bürger, die mit Kopfschütteln auf das Regierungstreiben schauen“, sagte Habeck. „Die letzten Tage haben eher eine Kakofonie hervorgebracht als eine geschlossene Regierungslinie.“ Man dürfe nun nicht nur um sich selbst kreisen.
„Am Ende müssen wir uns konzentrieren auf das, auf das wir uns geeinigt haben, auf das wir uns einigen können“, sagte Habeck. Man müsse „dann jeweils den halben Meter mehr gehen, der es auch den anderen ermöglicht, diesen halben Meter mehr zu gehen“. Die Botschaft ist klar: Der Klügere gibt nach – und das bin ich.
„Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland“
Habeck warnt davor, die Koalition ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zu beenden. „Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland und sie haben nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in die Bundesregierung zu stärken“, sagte der Vizekanzler. „Aber mir ist wichtig, noch einmal zu betonen: Wir regieren ja nicht im luftleeren Raum.“
In den USA drohe durch die Präsidentschaftswahl am Dienstag Instabilität, in der Ukraine tobe weiter der russische Angriffskrieg. Man sei gewählt worden, um sich solchen Herausforderungen zu stellen.
Das ist ein gewaltiger Schritt, den Habeck auf den Finanzminister zugeht – und dem FDP-Vorsitzenden einen in den vergangenen Tagen viel diskutierten Fluchtweg aus der Ampel-Regierung zu einem guten Teil versperrt: nämlich wegen zu großer Lücken im Bundeshaushalt 2025 und ausgeprägtem Sparunwillen bei SPD und Grünen die Regierung für gescheitert zu erklären.
Mit den zehn Milliarden Euro, die nun nicht im KTF verbleiben werden, lässt sich der Großteil der Löcher im Kernhaushalt schließen – genau so, wie Lindner dies in seinem Wirtschaftswende-Papier selbst vorgeschlagenen hat. Zu den zehn Milliarden Euro kommen laut einer Aufstellung aus dem Finanzministerium noch 4,9 Milliarden Euro, die der Bund wegen der trüben Konjunkturaussichten trotz Schuldenbremse im kommenden Jahr zusätzlich an neuen Krediten aufnehmen darf.
Durch kleinere Positionen wie geringer als bislang angesetzte Zinsausgaben und zusätzliche Rücklagen aus diesem Jahr schmilzt die Lücke um weitere 2,9 Milliarden Euro. 17,8 Milliarden Euro stehen nach dem Habeck-Manöver also zum Stopfen von Löchern zur Verfügung.
Alle Haushaltsprobleme lassen sich dadurch nicht lösen – jedoch ein großer Teil. Noch bleibt ein Minus. Nach der jüngsten Steuerschätzung muss mit 13,5 Milliarden Euro geringeren Einnahmen im nächsten Jahr gerechnet werden. Die erwarteten Ausgaben für Bürgergeld, Kosten der Unterkunft und Rente liegen 2025 nach Angaben des Finanzministeriums um 3,6 Milliarden Euro über den Planungen im Regierungsentwurf aus dem Sommer.
Zudem sollen die bislang pauschal angesetzten Minderausgaben noch um 2,2 Milliarden Euro auf unter zehn Milliarden Euro gedrückt werden. Das macht summa summarum 19,3 Milliarden Euro.
Bleibt ein Delta zwischen Einnahmen und Ausgaben von rund 1,5 Milliarden Euro. Doch auch dies sollte sich auflösen lassen, selbst wenn im nächsten Jahr die sogenannte Kalte Progression, also der Ausgleich der Inflation bei der Einkommensteuer, wie von Lindner gefordert, vollständig umgesetzt wird.
Lindner hat wichtige Vertreter der Wirtschaft hinter sich
Gesichert ist der Fortbestand der Ampel-Regierung damit freilich nicht. Jetzt kommt es darauf an, welche Mehrausgaben oder Mindereinnahmen zur Stabilisierung der schwächelnden deutschen Wirtschaft von der Koalition als notwendig erachtet werden.
Lindner spricht seit Tagen von einer „Richtungsentscheidung“ in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dazu gehören für ihn auch niedrigere Unternehmensteuern. Die von ihm vorgeschlagene Senkung des Solidaritätszuschlags und des Körperschaftsteuersatzes würde 2025 zu Einnahmeausfällen von rund acht Milliarden Euro führen.
Dabei weiß die FDP wichtige Vertreter der Wirtschaft hinter sich. Peter Adrian, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, fordert vor den entscheidenden Gesprächen der Koalitionsspitzen umfassende Entlastungen. „Anstelle von Ankündigungen oder sich gar widersprechenden Signalen müssen alle, die in der Politik Verantwortung tragen, die Entlastung der Wirtschaft wieder ganz oben auf ihre Prioritätenliste setzen – in Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat“, sagte Adrian WELT. Daraus ergebe sich klar, was jetzt tun sei: „Energiekosten und Steuern müssen runter, Auflagen und vielfältige Berichtspflichten gestrichen werden.“
Auf die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen verwies auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr (FDP) nach dem erneuten Treffen mit Wirtschaftsvertretern im Reichstag. Es gehe um eine Entscheidung zwischen konjunkturellen, möglicherweise auch „Subventions-Strohfeuern“ einerseits und echten Strukturveränderungen andererseits.
„Wir sind davon überzeugt, dass es diese echten Strukturveränderungen braucht, damit Deutschland für die kommenden Jahre wieder in der wirtschaftspolitischen Champions League spielt“, sagte Dürr.
Und dann sagte er noch einen Satz, der an den berühmten Ausspruch seines Parteivorsitzenden beim Rückzug aus den Koalitionsverhandlungen 2017 erinnerte: „Denn es geht jetzt nicht darum, irgendetwas jetzt zu tun, sondern das Richtige für unser Land zu tun“, so Dürr. Lindner hatte damals davon gesprochen, dass es besser sei, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Der Schritt von Wirtschaftsminister Habeck mit den Intel-Milliarden erschwert zunächst einmal den Rückzug.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
Philipp Vetter ist Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er berichtet über das Bundeswirtschaftsministerium, Wirtschaftspolitik, Energiepolitik, Verkehrspolitik, Mobilität und die Deutsche Bahn.