Was für eine Ehre! Die erste Sitzung des neuen Bundestags. Ein feierlicher Akt in unserer Demokratie. Und er darf die Sitzung eröffnen, leiten, die Auftaktrede halten: Gregor Gysi (77, Die Linke).

Er ist Alterspräsident. Weil kürzlich die Regeln geändert wurden. Nicht mehr der älteste Abgeordnete ist jetzt Alterspräsident. Sondern der dienstälteste. Sonst wäre es der AfD-Mann Alexander Gauland (84).

Nun also Gysi. Dessen politisches Leben begann 1967 in der SED. Gysi war letzter Parteichef der DDR-Staatspartei. Als DDR-Rechtsanwalt verteidigte er auch Regime-Kritiker, gleichzeitig muss sich Gysi bis heute dem Vorwurf stellen, er sei bei der Stasi als „IM Notar“ geführt worden. Akten legen den Verdacht nahe, Gysi bestreitet. Es bleiben Zweifel.

Eine deutsche Biografie. Ein „Treppenwitz der Geschichte“, nennt es der Historiker Hubertus Knabe.

Der gewählte Abgeordnete Gysi darf in seiner Auftaktrede so lange sprechen, wie er möchte. Er erlebt heute den Höhepunkt seiner Karriere.

Ein anderer gewählter Abgeordneter hingegen könnte heute eine politische Klatsche erleben. Gerold Otten (69, AfD) ist sein Name. Ein Luftwaffen-Offizier, der im Tornado diente. Mehr noch: International bildete er junge Kampfpiloten aus. Er ist Oberst der Reserve. Seit 2017 sitzt Otten im Deutschen Bundestag: für die AfD. Deshalb wird er heute als Bundestagsvizepräsident wohl durchfallen. Wie bereits zwei Male zuvor. Die in Teilen rechtsextreme AfD dürfe keinen Vize-Präsidenten stellen, so sieht es bisher die Mehrheit im Parlament.

Gysi und der Luftwaffen-Offizier. Zwei deutsche Lebensläufe, über die der Bundestag heute spricht. Der eine: sitzt dem Parlament heute vor. Den anderen lässt das Parlament wohl durchfallen.

Ist das ehrlich? Ist das konsequent?

Ich finde: nein. Es wäre zweierlei Maß!