Gute Nacht, diesmal aber wirklich

Man muss sich selbst erst einmal zwicken. Und genau das, dieses Zwicken, das weiß man selbst, ist das Versprechen, wegen dem Leute 200, 400, 1.000 US-Dollar und manchmal sogar mehr zahlen, für einen einzigen Theaterabend am Broadway in New York City. Das Zwicken kann aber auch wahnsinnig stören, merkt man dann im Theater. Falls es den ganzen Abend lang nicht weggeht. 

Es rührt von einer einzigen, aber halt auch verstörenden Sache: Da vorne auf der Bühne steht George Clooney. Oder: Da vorne auf der Bühne steht nicht nur Denzel Washington, neben ihm steht auch noch Jake Gyllenhaal. Das sind Leute, die man eigentlich nur von der Leinwand und aus Berichten über sie kennt, als Hollywoodstars. Nun verbringt man zwei, drei Stunden mit ihnen in einem Raum, wenn auch einem sehr großen Saal und gemeinsam mit sehr vielen anderen Menschen, die ähnlich viel Geld für dieses Erlebnis bezahlt haben. Ob daraus ein Kunstgenuss wird, merkt man erst später. Aber auch das ist gar nicht so einfach: Kann man sich dazu durchringen, etwas, wofür man sehr viel Geld bezahlt hat, auch schlecht zu finden? 

Es ist nicht neu, dass Filmschauspieler und Fernsehschauspielerinnen zur Abwechslung auch mal im Theater auftreten, nicht nur, aber gerade am Broadway. Aber so hoch wie in diesem Frühjahr und Sommer war die Star-Dichte an der berühmtesten Theatermeile der Welt selten, vielleicht noch nie. Kieran Culkin, gerade mit dem Oscar für seine Nebenrolle in ausgezeichnet, und Bob Odenkirk, der aus und , zusammen in der Neuinszenierung von im Palace Theatre; Liev Schreiber ( und sehr lange in und als im Fernsehen) und Maggie Siff (die aus ) in im Minetta Lane Theatre; Denzel Washington eben als Othello und Jake Gyllenhaal als Jago im Barrymore Theatre; George Clooney in der Bühnenadaption seines eigenen Films aus dem Jahr 2005 im Winter Garden Theatre; angekündigt sind für den Spätsommer Neil Patrick Harris und James Corden in und, Jesus!, Keanu Reeves in, jetzt kommt’s: . 

und haben direkt aufeinanderfolgend Umsatzrekorde am Broadway aufgestellt. legte im März mit 2,8 und dann 2,82 Millionen US-Dollar in je einer Woche vor, erhöhte daraufhin auf zunächst 3,3 Millionen, dann 3,78 Millionen, in der vergangenen Woche erzielte die Inszenierung gar 4,26 Millionen. Beide haben an diesem Wochenende ihre letzten Vorstellungen, und die vorletzte von wird in der Nacht von Samstag auf Sonntag als erste Broadway-Inszenierung überhaupt live weltweit im Fernsehen gezeigt, CNN überträgt ab 1 Uhr deutscher Zeit aus dem Winter Garden Theatre. 

Aber wie es ist, und wirklich am Broadway gesehen zu haben? Nun: einerseits ernüchternd, andererseits erhebend, immer komplex. Das passiert einem in deutschen Theatern eher selten. Obwohl auch an deutschen Bühnen aus Film und Fernsehen bekannte Schauspieler auftreten und mitunter seit vielen Jahren regelmäßig Vorstellungen total ausverkaufen (Lars Eidinger etwa an der Berliner Schaubühne in und oder Matthias Brandt in und neuerdings im Berliner Ensemble). Bei Eidinger und Brandt vergisst man als Zuschauer irgendwann während der Vorstellung meist, dass sie Eidinger und Brandt sind. George Clooney aber bleibt immer George Clooney, sein Ruhm ist einfach zu groß. Und so ist es auch bei Denzel Washington und Jake Gyllenhaal. Das macht mitunter alles noch schlimmer. Man möchte sich doch aufs Stück konzentrieren. Nicht auf den Ruhm einzelner Spieler. 

Die Probleme von Kenny Leons -Inszenierung jedoch beginnen bereits, bevor Washington und Gyllenhaal oder irgendein anderer Schauspieler die Bühne betreten haben, und zwar mit einer projizierten Ankündigung: „In naher Zukunft“ spiele das, was sich einem als Zuschauer nun präsentiert, und dann findet Leon in den folgenden zweieinhalb Stunden aber leider keine Begründung für diese Behauptung. Außer der vielleicht, dass er seine Spieler in aktuellen US-Militäruniformen auftreten lässt. Diese amerikanischen Soldaten sind, da bleibt Leon ganz bei William Shakespeare, in Venedig stationiert und müssen nun dem verbündeten Zypern gegen die heransegelnden Türken beispringen.  

Beim besten Willen lässt sich daraus kein geopolitischer, militärischer, gar kulturclashender oder postkolonialer Überbau für die nahe Zukunft ableiten, die über die existenziellen Fragen hinausweisen würde, die Shakespeare in der Tragödie unter anderem aufwirft. Was ist Liebe, wie und warum und von wem kann sie zerstört werden, was hält Menschen zusammen und was entzweit sie, was ist das Böse. Vor allem aber: Wer ist der Andere, zumal wenn er aus der Perspektive dessen, was man heute eine weiße Mehrheitsgesellschaft nennen würde, so eindeutig markiert ist als solcher: als Schwarzer. zu geben, vier Jahrhunderte nach Entstehen des Dramas, stellt die Akteure nicht nur vor die Frage, was daran rassistisch sein könnte, die eigentliche Krux lautet: Ist das Stück überhaupt noch sinnstiftend in die Gegenwart transferierbar? Bei Shakespeares Komödien und Königsdramen jedenfalls wäre man sich da sicherer. 

Zugleich ist Othello der eine große Schwarze Held in Shakespeares Werk, wenn auch ein tragischer. Am Ende wird er, von Eifersucht zu einer stereotypischen Raserei getrieben durch den Intriganten Jago, seine geliebte Desdemona töten; und danach, als er sich aller Lügen Jagos und der eigenen Verblendung gewahr wird, wird er sich selbst richten: „Denn nichts tat ich aus Hass, für Ehre alles.“ 

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