Gut fürs Karma

Wie fern dem Armut ist, erkennt man daran, wie
weit er Betroffenen mit künstlerischen Mitteln entgegenkommt. Es ist in der
neuen Kölner Folge (WDR-Redaktion: Götz Bolten) gerade eine
Minute vergangen, als mit Frau Schreiter (Katharina Marie Schubert) die erste
Schuldnerin auftaucht – gestützt von gedehnten Streicherklängen in Moll. Wenn
kurz darauf der ebenfalls verschuldete Masseur Timo Eckhoff (Ben Münchow)
gezeigt wird, schlägt das Klavier ergänzend Töne an – ebenfalls betrübt,
ebenfalls einzeln. Armut ist schlimm, aber dieses verlogene akustische Konzept
(Musik: Florian Tessloff) macht nichts besser.

Die Gegenprobe funktioniert übrigens auch. Der slicke
Inkassosuperstar Fabian Pavlou (Thomas Hauser) reitet in seinem BMW zu jazzy
Sounds in den Feierabend. Auf der finanziellen Sonnenseite des Lebens wird man
vom nicht zwangsisoliert durch verzagte Einzeltöne, sondern soft
hin- und hergeshakert in lässiger Bar-Atmo. Zu feiern gibt’s dann allerdings
nichts mehr. Statt mit Ehemann David Gross (Vladimir Korneev) berufliche
Erfolge zu begießen, wird Pavlou vorm Firmensitz der Inkassobude gestoppt, verletzt
und entführt.

Zum Verdächtigenkreis gehört neben Frau Schreiter und
Masseur Eckhoff der berufsunfähige Lehrer Jost Lehnen (Roman Knižka), der seiner
ebenfalls kranken Frau Monika (Tilla Kratochwil) das Weiterwohnen im viel zu
großen Einfamilienhaus mit Einsparungen beim Heizen und Essen verordnet. Am
Ende stellt sich die Geschichte als gescheiterter Stunt von Masseur Eckhoff und
dessen Schwager Marcin Wójcik (Sebastian Hülk) raus – mit dem Schwager als
treibende Kraft.

Der Schwager lebt zwar auch prekär, taucht aber erst spät im
Film auf, wenn Frau Schreiter, die Lehnens und Timo Eckhoff schon so viel vom –
nicht nur musikalischen – Mitleid auf sich gezogen haben, dass eine
Alleintäterschaft die Betrachterin doch sehr enttäuschen würde. Der
ursprüngliche Plan, den Schuldeneintreiber mit Strumpfmaske nur um die Summe
Geld zu erleichtern, die der Schwager zur Tilgung seiner Schulden braucht, plus
die Stromkosten, die bei Eckhoff fehlen, scheitert daran, dass Pavlou ein Messer
mit sich führt und Eckhoff erkennt. Im Affekt wird zugestochen, am Ende ist
Pavlou tot.

In der Darstellung von Ungerechtigkeiten spürt sich der
Kölner wie kein zweiter. Denn die dort angesiedelten, nicht
unbeliebten Ermittler Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär)
treten immer auch wie die Verkehrspolizisten gesellschaftlicher Diskurse auf,
und am liebsten bei was Sozialem. Fab Five Freddy muss nur das Berufsfeld des
Opfers kennen, um mit ganz viel Verständnis die Verdächtigen in der
Schuldnerszene zu verorten, gegenüber den schnepfigen Inkassoleuten: „Den
Leuten steht das Wasser bis zum Hals.“

Das mit der Einfühlung ins Leben der Leute ohne Geld zieht
sich durch den Film. Schenk gibt den guten, Ballauf den bösen Bullen bei der
für die Ermittlung völlig irrelevanten Frage, ob man Sympathie mit Armen haben
sollte oder nicht, was vermutlich als große und wichtige Gesellschaftskritik
des Kölner gilt. Dabei hätte ein Film so viel mehr Möglichkeiten,
etwas über konkrete Lebensverhältnisse oder auch fantasievolle Mittel gegen
Ungerechtigkeit zu erzählen, als den Stehsatz aus mittelguten Meinungstexten durchzukauen.

Bei der Sympathieverteilung mischt außerdem Assistent Jütte
(Roland Riebeling) mit, der zu Beginn im Großraumbüro der Inkassofirma
arbeitet. Und sich gegenüber Frau Mayer (Karolina Horster) empört über die
Methoden, mit denen Angestellte wie Pavlou ans Geld der Gläubiger kommen. Wenn
sich Frau Mayer dann dafür rechtfertigt („Den Leuten, die jahrelang auf
ihr Geld warten, geht es auch nicht gut“), antwortet Jütte: „Ich hab
gar nichts gesagt.“ Was nicht stimmt.

Einfache Lösungen sucht der Film auch bei der Ermittlung
(Drehbuch: Karlotta Ehrenberg, Regie: Claudia Garde). So weiß Ballauf, kaum am
Tatort angekommen, schon zu vermelden, dass alle Krankenhäuser nach dem
Verletzten abgefragt worden seien. Schenk wiederholt in Telefongesprächen die
Antworten vom anderen Ende der Leitung, damit der Zuschauer und Pavlous Mann
gleich Bescheid wissen. Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tinka Fürst) ist
vor allem dazu da, Informationen an die Chefs weiterzureichen. Der trostloseste
Moment der Wissensvermittlung: Ballauf, Schenk, Förster und Jütte sitzen
zusammen, ein Kollege betritt den Raum mit einem Blatt in der Hand, das er
Jütte reicht. Der schaut kurz drauf und verkündet, dass Jost Lehnen kein Alibi
hat: „Kam gerade rein.“

Schön ist das alles nicht. Und politisch erst recht nicht,
auch wenn die Beteiligten bestimmt fest davon überzeugt sind, mit diesem
ein wichtiges Thema beleuchtet zu haben. Oder wie immer man sich diesen
Armutskitsch in den Redaktionskonferenzen schönzureden vermag.

Mehr lesen
by Author
Alles begann damit, dass meine Handyhülle kaputtging. Ich hatte sie in Indien…