Bei der EM begeisterte die Mannschaft Georgiens als Einheit. Doch das Land ist zerrissen wie nie.

Regierungschef Irakli Kobachidse (45) sucht die Nähe zu Kreml-Diktator Wladimir Putin (71). Unterstützt wird er von der Orthodoxen Kirche und von überwiegend älteren Einwohnern. Dagegen protestiert die Jugend, die sich nach Freiheit und vor allem Europa sehnt.

Ihre große Hoffnung ist die direkt gewählte Präsidentin Salome Zurabishvili (72). Zwar hat sie ähnlich wie der Bundespräsident in Deutschland keinen direkten Einfluss auf die Politik. Doch ihre Stimme wird gehört.

In BILD spricht die erste Staatschefin Georgiens über die aktuelle Situation und die Parlamentswahl am 26. Oktober. „Diese Wahl entscheidet zwischen Europa und Dunkelheit, einer Rückkehr zur russisch-sowjetischen Vergangenheit.“

Kobachidse und seine Regierungspartei, der Georgische Traum, hätten Europa aus den Augen verloren. Wie sehr, zeige sich an dem „Transparenzgesetz“, das trotz großer Proteste und des Vetos der Präsidentin am 5. August verabschiedet wurde. Seither ist die Arbeit der Opposition und von unabhängigen Medien stark eingeschränkt.

Auch mit dem am 17. September beschlossenen Anti-LGBTQ-Gesetz entfernt sich das Land weiter von der EU. Denn nun dürfen homosexuelle Paare weder heiraten noch Kinder adoptieren. Zudem können nun LGBTQ-Demos verboten werden.

LGBTQ-Touristen versucht die Präsidentin zu beruhigen. „Das loyale und gastfreundliche georgische Volk darf nicht mit der Regierung verwechselt werden. Touristen sind jederzeit willkommen und sicher in unserem Land.“

Sie habe grundsätzlich Hoffnung für ihr Land. „Es ist noch nicht alles verloren.“ Nun seien alle gefordert. „Ich bitte die Jugend und auch die Georgier in den entlegenen Teilen des Landes um eine aktive Wahlbeteiligung. Damit wir Georgien als europäisches Land positionieren und die weitere Abwanderung junger Menschen verhindern können.“ Von den einmal etwa vier Millionen Einwohnern verließen in den vergangenen zehn Jahren bereits eine Million das Land.

Zurabishvili fordert die Bildung einer Expertenregierung für ein Jahr, um Georgien wieder auf den europäischen Kurs zu bringen. „Wenn sich die proeuropäischen Kräfte durchsetzen, werde ich alle antieuropäischen Gesetze zurücknehmen und über Georgiens EU-Beitritt verhandeln.“

Georgien ist isoliert und hat die Korruption auf ein neues Level gehoben. Zurabishvili kritisiert scharf den Oligarchen Bidzina Ivanishvili (68), der die Strippen in der regierenden Partei zieht. „Er hat dem Land geschadet, es geschwächt und isoliert. Die Freude über den EU-Kandidatenstatus wurde zerstört, indem er ein unnötiges Gesetz durchsetzte.“

Zurabishvili hebt hervor, dass die Korruption unter Ivanishvili, obwohl sie auch schon unter früheren Regierungen existierte, nun „alle Standards übertroffen“ habe.

Was passiert, wenn Regierungschef Kobachidse die Wahl gewinnt, darüber spricht Zurabishvili nicht. Die Opposition befürchtet eine Massenflucht, einen Bürgerkrieg und am Ende den Einmarsch der russischen Armee.