So etwas gab es in der Geschichte der Pflegeversicherungen noch nie. Erstmals muss eine Kasse mit Finanzhilfen gestützt werden. Welches Unternehmen Hilfe beantragt hat, ist ein Staatsgeheimnis. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) möchte den Namen nicht herausrücken. Auch Versicherte machen sich jetzt Sorgen. Kann meiner Pflegekasse das auch passieren? BILD beantwortet die wichtigsten Fragen.
Um welche Pflegekasse geht es?
In Deutschland gibt es 95 gesetzliche Pflegekassen. Diese sind an die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen angeschlossen und für das Einziehen der Versicherungsbeiträge und das Erbringen der Leistungen der Pflegeversicherung zuständig. Welche Kasse betroffen ist, bleibt unklar. Es handele sich um eine „gar nicht so kleine Kasse“ mit rund 500.000 Versicherten. Insofern wird die Kasse bundesweit bekannt sein.
Warum verrät Lauterbach den Namen nicht?
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) legt Wert auf die Feststellung, dass die bislang unbekannte Kasse nicht pleite sei: „Wie in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es in der Pflegeversicherung einen Finanzausgleich. Die Leistungen der Pflegeversicherung werden weiterhin bezahlt, keiner Pflegekasse droht die Zahlungsunfähigkeit“, so BMG-Sprecher Hanno Kautz zu BILD. Deshalb könne man auch nicht verraten, um welche Pflegekasse es sich handelt. Bekannt ist nur: Der Antrag sei bis Dezember 2025 gestellt worden.
Welche Kreise zieht das Pleite-Drama?
Frank Plate, Chef beim zuständigen Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) sagte der „Wirtschaftswoche“: „Es ist möglich und bei einer weiteren Verschärfung der Finanzsituation wahrscheinlich, dass weitere Anträge gestellt werden.“
Wie lange kann das System noch halten?
Laut Jens Martin Hoyer, Vizechef des AOK-Bundesverbands, zeigt der Finanzhilfeantrag, wie dramatisch die Lage ist. „Die Pflegeversicherung ist seit Jahren defizitär – auch, weil der Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen nicht ausreicht“, so Hoyer zu BILD.
Seit 2020 können Pflegekassen Finanzhilfe aus dem Ausgleichsfonds beantragen. „Dass erstmals eine Kasse darauf angewiesen ist, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, ist ein alarmierendes Signal“, sagt Hoyer.
Grund: Kassen, die am Monatsende Geld übrig haben, müssten an den Ausgleichsfonds zahlen und könnten so selbst in Finanznot geraten. Außerdem könnten Pflegekassen versuchen, die Bezahlung von Leistungen hinauszuzögern, was Pflegebedürftige und Heimbetreiber belasten würde.
Was bedeutet das Drama für Versicherte anderer Kassen?
Erst einmal nichts, weil ihre Pflegekasse ja noch Rechnungen bezahlen kann und nicht auf Hilfe angewiesen ist. Aber es könnten weitere Kassen in den Strudel hineingeraten. 2025 werde sich laut AOK-Experten erneut ein Loch auftun – voraussichtlich eine halbe Milliarde Euro. Das bedeutet, dass die Beträge für alle steigen könnten.
Kann es sein, dass Leistungen nicht mehr bezahlt werden?
Thomas Lemke, Chef des Deutschen Finanz-Service Instituts zu BILD: „Bei Regelleistungen ist das kein Problem, denn die sind bei allen Kassen gleich. Aber es könnte sein, dass die neue Kasse die Zusatzleistungen der alten Kasse gar nicht oder in deutlich kleinerem Umfang übernimmt. Außerdem könnten sich Zahlungen z.B. für zugesagte Operationen verzögern, weil man sich erst die Zusage von der neuen Kasse einholen muss, dass sie die Zusatzleistungen übernimmt.“
Was passiert, wenn meine Pflegekasse pleitegeht?
Man steht dann nicht auf der Straße. Jedoch sollte man selbst aktiv werden und sich eine andere Kasse suchen. Wer nicht handelt, wird automatisch an eine andere Kasse zwangsvermittelt, die einen dann aufnehmen muss und möglicherweise mehr kostet.
Wie ist die Lage der Pflegeeinrichtungen?
Eva Welskop-Deffaa, Präsidentin von Deutschlands größtem Wohlfahrtsverband Caritas, zu BILD: „Die Sorge, gute Pflege könne ein Luxusgut werden, treibt immer mehr Menschen um. Unsere Einrichtungen, die bereits heute unter hoher Bürokratie und Zahlungsverzögerung der Sozialämter leiden, müssen ihre Türen schließen, wenn die Pflegeversicherung ins Trudeln gerät. 57 Prozent unserer stationären Pflegeeinrichtungen und 61 Prozent unserer ambulanten Pflege-Dienste schätzen ihre wirtschaftliche Situation aktuell als instabil ein.“
Kann es sein, dass Leistungen nicht mehr bezahlt werden?
Thomas Lemke, Chef des Deutschen Finanz-Service Instituts zu BILD: „Bei Regelleistungen ist das kein Problem, denn die sind bei allen Kassen gleich. Aber es könnte sein, dass die neue Kasse die Zusatzleistungen der alten Kasse gar nicht oder in deutlich kleinerem Umfang übernimmt. Außerdem könnten sich Zahlungen z.B. für zugesagte Operationen verzögern, weil man sich erst die Zusage von der neuen Kasse einholen muss, dass sie die Zusatzleistungen übernimmt.“
Wie geht es jetzt weiter?
Das Lauterbach-Ministerium räumt ein: „Klar ist aber auch, dass wir die Finanzierung der Pflegekassen für das kommende Jahr verändern müssen.“ Die Stabilisierung der Pflegeversicherung werde in den Koalitionsgesprächen eine Rolle spielen müssen. Die Caritas-Chefin fordert: „Die kommende Bundesregierung ist in der Pflicht, die berechtigten Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und das Sozialversicherungssystem demografiefest zu stabilisieren.“ Auch die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), sieht Handlungsbedarf – doch sie warnt vor rein finanziellen Notlösungen. Ihr Appell ist klar: Nicht nur mehr Geld, sondern ein System, das langfristig funktioniert.