Gegen Bevormundung

Ob es das schon mal gegeben hat in der langen
Ausstrahlungsgeschichte des ARD-Sonntagabendkrimis? In der neuen Wiener -Folge
(ORF-Redaktion: Bernhard Natschläger, Kerstin
Bertsch) heißt das Opfer genauso wie die Tote vergangene Woche im Rostocker : Volkmann. Sarah da, Jakob hier.

Ob beide miteinander verwandt waren, ist logischerweise
nicht überliefert. Aber zumindest für Wien lässt sich sagen, dass der
Figurenname ein sprechender sein soll. Denn Jakob Volkmann (Tilman Tuppy) war
Teil einer militanten Szene, die ihre politischen Fantasien mit der Behauptung
unterfüttert, fürs vermeintlich wahre Volk gegen die da oben zur Tat zu
schreiten. Nicht nur die Rechtfertigungsrhetorik der rechten Umsturzpläne, die
in diesem eine fiktive Organisation namens KAPO (Kampfbereite
außerparlamentarische Opposition) schmiedet, erinnert an reale Terrorgruppen,
die sich während der Coronapandemie in den Wahn irrster, heuer umgehend transnational
zirkulierender Verschwörungserzählungen radikalisiert haben. In kommt es gleich zu Beginn zu einem Großeinsatz der Polizei
im Regierungsviertel, in dem sich Tausende von „Spaziergängern“
versammelt haben und bei dem am Ende eben Jakob Volkmann tot auf dem Boden
liegt.

Der erste Verdacht geht in Richtung Polizeigewalt, die der
humorlose Einsatzleiter Schuch (Wolfgang Oliver) ausgeübt haben soll. Am Ende
kommt dann aber raus, dass Volkmann nur als Opfer vermeintlich tödlicher Staatsgewalt
hindrapiert worden war, um die Wut der Anhängerschaft anzufachen. Die eigenen
Leute hatten ihn vor dem Schlag mit dem Polizeiknüppel schon letal vergiftet,
weil er und seine Freundin Katja Ralko (Julia Windischbauer) aus der
KAPO-Nummer aussteigen wollten. Ein wie ein Faszinationswort
von Leuten heißt, die vorgeben, sich mit Verschwörungen auszukennen.

Der Weg zur Aufklärung führt in diesem über
eine Autobahn ohne Tempolimit. Und das hat
mit Rupert Henning zu tun, der das Buch geschrieben und Regie geführt und schon
mehrfach
demonstriert
hat
, was man als lustvoller Räuberpistolenheld alles an Action, Witz und
Verknüpfung in einen ARD-Sonntagabendkrimi hineinballern kann. Das hat den
Vorteil, dass man nicht gelangweilt wird, selbst wenn die
Globalschockerszenarios, unter denen es Henning nicht macht, mal spekulativer
oder kolportagehafter ausfallen.

Das grundsätzlich Schöne an diesen Filmen ist, was ihr Tempo
und Übermut fürs Spielen bedeutet. Christina Scherrers Assistentin Meret
Schande hat so viel und so tollen Dialogtext wie sonst in drei Folgen zusammen
nicht. Sie kann sich von Seiten zeigen, die hinter der gewöhnlichen
Informationskellnerei der Figur verschwinden – wie sie etwa die reiche
Innenstadtbewohnerin als Zeugin verabschiedet, die für ihre paar Angaben nach
einer Belohnung fragt („Die österreichische Exekutive weiß Ihre
Kooperation zu schätzen und ist Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet“).
Oder wie die junge Mutter auf ihren Arbeitsethos
besteht: „Wenn ich hackel‘, dann hackel‘ ich 100 Prozent.“

Der Eisner eisnert sich einerseits in schönster Manier durch
den Fall. Harald Krassnitzer, der in seichteren Gefilden auch etwas
Selig-Brummbärenhaftes haben kann, pflegt sein ancholerisiertes Anscheißertum,
das vor Hierarchien nicht Halt macht und vom distinguierten Ernstl (Hubert
Kramar) immerfort eingefangen werden muss. Einen angesäuerten „Bitte“-„Danke“-Dialog zwischen den beiden löst die Regie trotz der Kürze
des Texts lustigerweise in eine Schuss-Gegenschuss-Aufnahme auf. Krassnitzer
beherrscht aber auch das runtergedimmte Informationsgeflüster, wenn er in einer
Autofahrt mit Geheimdienst-Schubert (Dominik Warta, der schon zum dritten Mal
in dieser Funktion in einem Henning- auftritt) über die Beschaffenheit
der KAPO-Gruppe erzählt. Auch hübsch, dass der Eisner, ob gewollt oder nicht
anders gekonnt, bei einem ihm sprachlich offenbar fernen Akronym nur
„GBTQ-Allergikerin“ rauskriegt.

Und von ganz eigener Schönheit ist der Witz, mit dem sich
Adele Neuhausers Bibi zwischen den eigenen Reihen und gegenüber Verdächtigen
bewegt. So eigen, dass die Kommissarin irgendwann selbstironisch seufzt:
„Meine Art Schmäh ist halt irgendwie unbeliebt.“

Bezaubernd ist das kleine, fast dadaistische Kabinettstück,
mit dem sich die Bibi einen Reim auf den Organisationsnamen zu machen versucht:
„KAPO, KAPO, KAPO, was KAPO?“ Auf diese Weise erinnert schon jetzt daran, was wir nach dem angekündigten
Abgang Ende 2026
des Ermittlungsduos vermissen werden.

Der Humor, mit dem sich die Bibi durch den Fall bewegt, ist
aber nicht nur eine Marotte, sondern hat etwas Subversives, weil rechte
Verschwörungserzählungen von der Hybris einer Autosuggestion leben – die
Wahrheit zu kennen, wo es sich um paranoide Lügenmärchen handelt; einem
Mehrheitswillen vorzustehen, für den immer nur der Hass weniger auf
Betriebstemperatur gehalten werden muss. Diesem Wahn mit ein paar Gags zu
kommen, lässt nebenher viel Luft aus dem Selbstentwurf des angestrengten
Milieus und erweist sich so als wirksame Strategie, wo andere Filme zum Thema
womöglich dem Versuch erlegen wären, die „Sorgen der Bürger“ ernst zu
nehmen oder die Rechten „inhaltlich
stellen
“ zu wollen.

So ist dieser eine der gelungensten unter den
munteren Henning-Folgen. Originell und aufwendig in der Inszenierung (die
Straßenszenen im Regierungsviertel zu Beginn!), mit schmucken Abschweifungen zu
„Wiener Methode“, dem Konjunktiv oder der richtigen Verwendung des
Begriffs Déjà-vu und überraschenden erzählerischen Twists bis zum Schluss.

Dass der Hauptchefverschwörer (Michael Weger) am Ende gar
nicht mehr in diesen 90 Minuten verhaftet werden muss, weil er in eine Falle
getappt ist und die Polizei zu seinem europäischen Netzwerk führen wird, ist
dramaturgisch clever. Denn Großentwürfe wie dieser hier verlieren final schnell
an Triftigkeit, wenn zwei Standard-Beamte die Handschellen final um die Gelenke
von Leuten klicken lassen, für deren Ermittlung und Verhaftung üblicherweise
Hunderte von Sondereinsatzkräften benötigt werden. Das große Besteck eben.

Kleinste Abzüge in der Begeisterung gibt es nur für den
Schluss. Da sinnieren die Bibi und der Eisner mit Blick auf Wien und eine zu
erwartende, noch größere Demonstration etwas zu pflichtschuldig durch, wie man
den abgedrifteten Leuten denn noch beikommen kann. Was überflüssig ist, weil
der Film zuvor doch zupackend gezeigt hat, wie das geht. Nicht zuletzt: durch
Humor.

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