ZEIT ONLINE: Stephen Malkmus, mit Anfang 20
haben Sie einst die einflussreiche Indierockband Pavement gegründet. Nun
gründen Sie mit Ende 50 noch mal eine neue Band, die Supergroup The Hard Quartet
mit den verdienstreichen Indiemusikern Matt Sweeney, Jim White und Emmett Kelly.
Fühlt sich so ein neues Projekt heute anders an als Ende der Achtzigerjahre?
Stephen Malkmus: Ich habe versucht, mich an das gute
Gefühl von damals zu erinnern und es zu konservieren: diesen Enthusiasmus der
ersten Interaktion mit neuen Leuten, überhaupt dieses aufregende Gefühl von
etwas Neuem. Daran erinnere ich mich noch aus frühen Pavement-Tagen. Damals kam
das von selbst, heute muss ich bewusst daran arbeiten, nicht abzustumpfen. Das
ist eigentlich der größte Unterschied.
ZEIT ONLINE: Im Verlauf Ihrer bald 40-jährigen
Karriere haben Sie beinahe immer mit Bands und nur selten solo gearbeitet. Was
macht für Sie die Faszination des vermeintlich überholten Konzepts
Rockband aus?
Malkmus: Man lernt, wie man auf
traditionelle Weise in einer Gruppe arbeitet, nämlich gemeinsam und im selben
Raum. Die Magie entsteht daraus, wie sich die unterschiedlichen Fähigkeiten der
Mitglieder ergänzen. Ich könnte auch allein am Computer arbeiten.
Ich spiele Schlagzeug, allerdings ziemlich schlecht, außerdem einen passablen
Bass, etwas Klavier und natürlich Gitarre, das würde reichen. Aber dann müsste
ich auf die Reaktionen der anderen Musiker verzichten. Und auf dieses besondere
Gefühl, wenn aus den Beiträgen unterschiedlicher Menschen etwas entsteht, das
größer ist als die Summe der einzelnen Teile. Wissen Sie, was mich am
Musikmachen in Bands am meisten reizt?
ZEIT ONLINE: Die wilden Aftershowpartys?
Malkmus: Keineswegs. Von Natur aus bin ich ein
introvertierter Mensch, der nicht viel unter Leute kommt, was sich mit
zunehmendem Alter eher noch verstärkt hat. Soziale Kontakte liegen mir nicht,
aber wenn ich ein Album mache, komme ich automatisch mit Menschen ins Gespräch:
mit der Band, den Leuten von der Plattenfirma, schließlich mit der ganzen Welt,
wenn ich das Album mit ihr teile. Es ist ein wunderbares Gefühl, auf diese Weise
Kontakt aufzunehmen.
ZEIT ONLINE: Die Songs auf dem unbetitelten
Debütalbum von The Hard Quartet klingen roh und unbehauen, wie das eben so ist,
wenn Menschen gemeinsam in einem Raum Musik machen. Absicht?
Malkmus: Unbedingt. Unser Plan war, die
vielen technischen Möglichkeiten, die es heutzutage gibt, gerade nicht zu
nutzen. Wir könnten problemlos mit Plugins, Autotune, Clicktrack und einem
endlos langen Mix eine perfekte Aufnahme herstellen. Diese Form von Perfektion
kann interessant sein, aber letztlich klingen solch hochgeschliffene Alben mehr oder weniger gleich.
ZEIT ONLINE: Wie lange kennen Sie die anderen
Mitglieder von The Hard Quartet schon?
Malkmus: Alle schon länger, Matt Sweeney
sogar ewig. Ende der Achtzigerjahre zog ich nach New York und war vollkommen
überfordert. Ich war 19 Jahre alt, ein Landei. Die New Yorker Musikszene und
die ganze Stadt haben mir wahnsinnige Angst eingejagt. Alle waren damals stark
beeinflusst von dem Fotografen und Regisseur Richard Kern, gaben sich betont cool,
überheblich, regelrecht gemein. Wie so eine Clique aus Bescheidwissern, in der
alle die wichtigsten Arthouse-Filme kannten und sich für die Größten hielten.
Sie wissen schon: Wir sind New York City, leg dich bloß nicht mit uns an. Das
war hart.
ZEIT ONLINE: Und Matt Sweeney war nicht so?
Malkmus: Ich fand irgendwann heraus, dass
Musiker eigentlich nett sind, jedenfalls die meisten. Da man nicht so einfach
alles allein machen kann, sind die meisten von uns zugewandt. Natürlich
entwickeln einige mit dem Erfolg gewaltige Egos, aber damals habe ich die
Erfahrung gemacht, dass selbst die scheinbar durchgedrehtesten Typen aus den
krassesten Bands mit den fiesesten Namen total nett sind, wenn man sie wirklich kennenlernt. So ein Typ war Matt Sweeney. Er war in einer Band namens Skunk
und wirkte wie der härteste Rocker von allen, war aber hinter dieser Fassade
ein wunderbarer, sehr sozial eingestellter Mensch. So waren wir in den
Neunzigern, denken Sie nur an Steve Albini. Sein Sarkasmus gehörte damals zum
guten Ton.
ZEIT ONLINE: Wie Sie selbst würde man Albini und
Sweeney heute als Indie-Ikonen beschreiben. Hat der Begriff für Sie irgendeine
tiefere Bedeutung oder bezeichnet Indie heute nur noch ein Genre?
Malkmus: In meiner Welt steht Indie für
freies Denken, eine künstlerische Haltung, die nicht von Erfolg geleitet ist.
The Velvet Underground sind für mich Indie, Frank Ocean oder Lana Del Rey aber
auch. Es ist kompliziert. Positiv Verrückte, leicht autistische Freaks, solche
Leute – die sind für mich Indie.