Es ist die Stunde Europas!

Es ist die Stunde Europas!  – Wie oft ist das gesagt, geschrieben, ja gepredigt worden in den letzten Jahren? Unzählige Male. Nun, da Donald Trump sich von der Ukraine abwendet, muss man es schon wieder schreiben: Es ist die Stunde Europas!

Trump versteht sich mit Wladimir Putin und Xi Jinping besser als mit Ursula von der Leyen. Für ihn sind sie Geschäftspartner auf dem Markt der Geopolitik. Putin bekommt die Krim, den Donbass, Xi Taiwan und er will sich Grönland holen, zur Not mit Gewalt.

In Europa erhebt sich eine laute Wehklage: ach, der böse Trump! Ach, dieser machthungrige, rachsüchtige, grausame, eiskalte Geschäftemacher! Und ach, diese Amerikaner, die ihn gewählt haben. Die meisten Europäer schütteln auch noch Monate nach seiner Wahl den Kopf. Sie haben sich eingerichtet in ihrem Nicht-Verstehen-Wollen, sie haben es sich bequem gemacht in der Haltung Der-wird-euch-in-den-Abgrund-führen.

Aber das grenzt an Realitätsverweigerung. Europa verteidigt die liberale Demokratie, den Rechtsstaat, die internationale Ordnung, die Unverletzbarkeit der Grenzen. Das ist gut so. Aber Trump schafft derweil Tatsachen, zum Beispiel die: Er wirft die Ukraine Putin zum Fraß vor. Ja, es ist die Stunde Europas!

Der Schlaf des Selbstgerechten

Diese Stunde dauert bei genauerem Hinsehen allerdings schon eine Ewigkeit. Barack Obama hat zu Beginn seiner Amtszeit 2008 gefordert, die Europäer müssten mehr Verantwortung übernehmen. Joe Biden tat das auch. Beide waren Demokraten, beide waren Europa freundlich gestimmt. Geschehen ist wenig, allzu wenig. Europa schlief weiter den Schlaf des Selbstgerechten.

Trump übermittelt nun die altbekannte Botschaft auf brutalstmögliche Weise. Neu ist, dass er sich gleichzeitig von Europa abwendet, um mit Putin und Xi Jinping ins Geschäft zu kommen. Er bewundert Diktatoren, für Europa empfindet er nur Verachtung. Für Trump sind die Europäer Hintersassen einer Provinz, in der Juristen die Kräfte des Raubtierkapitalismus in einem Paragrafendschungel ersticken wollen.

So wie seine Freunde Putin und Xi Jinping versteht auch er nur die Sprache der Stärke, aber die Europäische Union spricht sie nicht, immer noch nicht. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz redete Ursula von der Leyen wie die bemitleidenswerte Verwalterin eines windschiefen Hauses, die versucht, dessen kleinkarierten Bewohner zusammenzuhalten und zu etwas mehr Großzügigkeit, zu etwas mehr Mut zu ermuntern.

Ein unbändiger Wille zur Zerstörung

Nach ihr trat J. D. Vance auf die Bühne. In einer knapp 20-minütigen Rede attackierte er die Fundamente des europäischen Hauses und begrub die transatlantische Freundschaft: hier die Verwaltung des Status quo, dort ein atemberaubender Angriff, ein unbändiger Wille zur Zerstörung. Dazwischen klafft ein Abgrund. Es gibt keine gemeinsame Wertebasis zwischen dem Amerika von Trump und Europa. Das ist deutlich geworden.

Dass das so ist, wusste man seit Langem. Spätestens seit Trump seine Anhänger nach der Wahlniederlage 2021 zum Sturm auf das Kapitol anstachelte, war klar, mit wem man es zu tun hatte.