Es gibt nämlich keine Männersachen

Der ARD-Sonntagabendkrimi ist wie ein Adventskalender fürs
ganze Jahr. Jede Woche verbirgt sich eine neue Überraschung hinterm Türchen.
Nach dem spannenden
Schwarzwald-Thriller vom vergangenen Sonntag
folgt mit Stuttgart ein
Schauplatz, der zuletzt brillierte.
Diesmal aber nicht. Gar nicht.

(Redaktion: Brigitte
Dithard) heißt die -Folge, die von Einsamkeit handeln soll. Es
geht um eine junge Frau namens Nelly Schlüter (Bayan Layla), die ihren Suizid
inszeniert, als wäre es ein Mord, damit ihre einst beste Freundin Fine (Trixi
Strobel) vor der Hochzeit mit Niclas (Louis Nitsche) mit nervigen Ermittlungen
und Verdächtigungen behelligt wird. Das klappt dann aber nicht, weil die Leiche
von Nelly erst viel später gefunden wird. 

Weil der zumeist ein ist, rätseln die
Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) lange an einem Mord
rum. Nellys Ex-Freund Felix Vietze (Malik Blumenthal) macht sich verdächtig,
aus Sicht der Betrachterin vor allem durch konsequentes Unsympathischsein. Über ein „Einsamkeitsforum“, in dem Nelly unterwegs war, findet sich dann eine halbe Täterin – die
fiese Rike Singer (Melanie Straub), Ex-Mitarbeiterin der Forumsgründerin (Lana
Cooper). Weil Singer, so die Legende, es selbst nicht schafft, sich umzubringen,
treibt sie andere in den Tod. 

Eine gewagte Konstruktion, weshalb der Hinweis auf Hilfsangebote
für Menschen mit Suizidgedanken sogar mitten im Film eingeblendet wird – ein
hoher Preis, sensible Themen zu triggern, mit einem Krimi, der seine eigenen
Mittel so unsensibel gebraucht. Durch die Konstruktion mit dem
als Mord drapierten Suizid gibt schon mal Spannung ab – die krude Auflösung mit der Halbschuld der trüben Ex-Mitarbeiterin lässt das Ende unbefriedigend
erscheinen.

Dass dieser nichts mehr wird, merkt man leider relativ schnell. Keine
Figur ist auf irgendeine Weise reizvoll oder auch nur prägnant (Besetzung:
Deborah Congia, Regie: Milena Aboyan). In zahlreichen Rückblicken sitzt Nelly Schlüter als Frau um die 30 allein in einer Riesenwohnung, deren Einrichtung
danach aussieht, als wohnten hier, wenn keine Dreharbeiten darin stattfinden,
deutlich ältere Personen mit alten Holzschränken und einer Bibliothek, die
womöglich noch antiquarischen Wert hat (Szenenbild: Anette Reuther). Auf dem
Revier kommen türkisfarbene Ikea-Kaffeetassen zum Einsatz, die einen Ticken zu gut
mit den gelben Stühlen harmonieren, um so etwas Alltägliches wie Büro zu
erzählen.

Das Kostümbild (Tanja Gierich) sendet ebenfalls
widersprüchliche Signale, weil es etwa keine modische Chemie zwischen den
Paaren aufkommen lässt. Bootz trägt nicht nur seine Signature-Lederjacke,
sondern auch mal schwarz, was ihn neben dem eh auf gedeckte Farben und Dezenz
getrimmten Lannert wie den zweiten Bestatter aussehen lässt. Musik (Kilian
Oser) gibt es auch. 

Das Drehbuch weidet sich an abgegrasten Standardsituationen.
Der Rechtsmediziner (Jürgen Hartmann) erklärt zu weitschweifig („Muss es
denn so ausführlich sein?“), der Kommissar hat nach der Begegnung mit den
Eltern (Idil Üner, Robert Kuchenbuch) umgehend Fall („Ich würde mir
bestimmt auch große Vorwürfe machen“), die Digitalkultur wird angeguckt
und besprochen, als wäre es 1950 („Wir sind gerade im Darknet
unterwegs“). Das „Thema“ kommt vor durch Schlagwortsätze, die aus Beratungsstellenbroschüren gecopypastet wurden („Einsamkeit ist kein Privileg der Alten mehr“).

Und manchmal will der Film auch lustige Sprüche klopfen: „Herzlich
willkommen! Gut, herzlich ist vielleicht bisschen übertrieben“, begrüßt Bootz
die neue Kollegin Elvira Möbius (Daniela Holtz), die als absurde Figur mit
breitester Mundart durch diesen Krimi tönt. Eine Frau in ihren Vierzigern, der
nichts peinlich sein soll – sie singt den Kommissaren das titelgebende Gundermann-Lied vor oder
trägt ihre Attraktionssehnsucht auf der Zunge („So hat mich schon lange
kein Mann mehr angesehen“). Die
Kommissarin ist so grobschlächtig entworfen und so unentschieden inszeniert,
dass sich schwer sagen lässt, was an ihr komisch und was ernst gemeint ist. In
der Künstlichkeit der Büroinszenierung wirkt sie im Versuch, Peinlichkeit
darzustellen, leider zumeist peinlich. Ein leichtes Objekt für den Spott
der Männer.

Was für einen
qualifizieren konnte, bleibt einigermaßen rätselhaft. Keine künstlerische
Entscheidung in diesem Film wirkt überzeugend. Und das, wo der
ARD-Sonntagabendkrimi doch zu den Projekten gehört, mit denen sich der
öffentlich-rechtliche Senderverbund im Kampf um die Aufmerksamkeit einer stark
fragmentierten Mediengesellschaft behaupten will. Wäre da nicht mehr drin?