ZEIT ONLINE: Herr Wassermann, im Nahen Osten herrscht Krieg zwischen Israel und nicht staatlichen Akteuren wie Hamas, Hisbollah und Huthis, gleichzeitig wird Israel aber auch direkt von Iran angegriffen. Mit was für einer Art von Konflikt haben wir es hier eigentlich zu tun?
Felix Wassermann: Tatsächlich ist das gar nicht so leicht zu beantworten. Eine symmetrische Konstellation bestünde in einer Auseinandersetzung zweier Staaten, die sich wechselseitig anerkennen und sich der Mittel regulärer Kriegsführung bedienen. Das ist hier offensichtlich nicht der Fall. Wir haben es aber auch nicht mit einer klassisch asymmetrischen Konstellation zu tun, bei der beispielsweise ein Staat gegen ein verdeckt operierendes Terrornetzwerk oder eine Aufstandsbewegung kämpft. Und was es noch komplexer macht: Symmetrien und Asymmetrien sind durch die politischen und militärischen Realitäten zwar teilweise vorgegeben, teilweise aber Gegenstand strategischer Entscheidungen.
ZEIT ONLINE: Inwiefern?
Wassermann: Als die Hamas 2007 im Gazastreifen territoriale Herrschaft übernahm, hörte sie auf, ein nur im Untergrund operierender Akteur zu sein. Deshalb gingen viele davon aus, sie könne nun schrittweise zum staatlichen Akteur werden und sich gegenüber Israel damit in Richtung einer symmetrischen Konstellation bewegen. Die Terrorattacken der Hamas vom 7. Oktober 2023 haben sich jedoch vor allem gegen israelische Zivilisten gerichtet. Die Hamas erscheint also als eine Art Hybrid: Sie ist in Teilen staatlicher Akteur, operiert militärisch indes wie eine Terror- oder Guerillagruppe.
ZEIT ONLINE: Und die Hisbollah im Libanon?
Wassermann: Bei der Hisbollah handelt es sich um einen nicht staatlichen Akteur, dessen politischer Arm im Libanon eine legale politische Partei bildet, und dessen militärischer Arm den iranischen Revolutionsgarden untersteht. Für Iran war diese hybride Konstellation lange von Vorteil. Mittels der Hisbollah konnte man einen Schattenkrieg gegen Israel führen, gleichzeitig aber stets abstreiten, man sei involviert. Nachdem die Hisbollah von Israel nun so zurückgedrängt wurde, kam Iran aus der Deckung. Der Schattenkrieg funktionierte nicht mehr. Deshalb griff Iran Israel ganz symmetrisch per Raketenbeschuss an. In dieser Symmetrie steckt wiederum eine gewisse Rationalität der Mäßigung.
ZEIT ONLINE: Wie zeigt die sich?
Wassermann: Sowohl Irans Angriff im April als auch der jüngste Raketenbeschuss kamen nicht unangekündigt und richteten sich jeweils nicht gegen zivile Ziele, dementsprechend blieb der Schaden begrenzt. Das ist die Logik des Symmetrischen: Man geht nicht auf volle Eskalation, sondern kalkuliert mit ein, dass der Gegner solche Signale der Zurückhaltung versteht und dann in seine eigene Reaktion miteinbezieht. Insofern hat sich der Nahostkonflikt einerseits etwas in Richtung Symmetrierung verschoben. Andererseits besteht weiterhin eine grundsätzliche Asymmetrie der Legitimität, da Iran das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Und das ist deshalb so relevant, weil die Regeln des symmetrischen Krieges – etwa der Schutz von Zivilbevölkerung oder die Trennung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten – auf der gegenseitigen Anerkennung als staatliche Kriegsgegner beruhen.
ZEIT ONLINE: Sie sprachen die Ethik des symmetrischen Krieges an, die etwa in den Genfer Konventionen festgehalten ist. Gibt es – zumindest informell – auch eine Ethik des asymmetrischen Krieges, also für jene militärischen Auseinandersetzungen, wie Israel sie mit der Hamas oder der Hisbollah führt?
Wassermann: Asymmetrische Konflikte folgen oft einer strategischen Ethik. Als stärkerer Akteur weiß man, dass in einem asymmetrischen Konflikt – und zumal in einem solchen Konflikt von globalem medialen und öffentlichem Interesse – Bilder von zivilen Opfern zum Problem werden können. Deshalb empfiehlt sich Zurückhaltung nicht nur aus ethischen, sondern auch aus strategischen Gründen. Darum weiß jedoch der schwächere Akteur und benutzt die Zivilbevölkerung deshalb oft als Schutzschild, um den angerichteten Schaden zu maximieren. Nicht zuletzt deshalb tendieren asymmetrische Konflikte zur Entgrenzung und Eskalation.
ZEIT ONLINE: Israel stellt der Kampf gegen die Hamas und die Hisbollah vor einem Dilemma: Einerseits muss sich das Land entschlossen gegen die beiden Terrororganisationen verteidigen, andererseits darf es als liberaler Rechtsstaat eigentlich nicht jene Zivilbevölkerung attackieren, hinter der sich die Kämpfer von Hamas und Hisbollah oft verstecken.
Wassermann: Es ist ein Dilemma, ja. Denn natürlich will man als liberaler Rechtsstaat solch einen Krieg nicht auf eine Art und Weise führen, sodass man an dessen Ende nicht mehr derselbe ist. Denn liberale Rechtsstaaten haben sich auferlegt, das Kriegsrecht einzuhalten, und zwar auch gegenüber Akteuren, die sich selbst wiederum nicht daran halten. Aber was bedeutet es nun, wenn Angriffe aus einem Krankenhaus kommen oder Kämpfer sich zwischen Flüchtlingen verstecken? Darauf gibt es keine einfache Antwort. Strategisch stellt sich vor allem die Frage, wie lange eine Gesellschaft solch einen Krieg mitträgt. Deshalb ist der Kampf um Bilder bei asymmetrischen Kriegen auch von so hoher Bedeutung.