Für die einen war er ein Friedensstifter. Für die anderen der schwächste mächtigste Mann der Welt, der je im Weißen Haus saß.
Jetzt ist Jimmy Carter im Alter von 100 Jahren gestorben. Kein anderer Präsident der Vereinigten Staaten wurde so alt wie er.
„Er war ein Held für jeden, der an Frieden, Menschenrechte und selbstlose Liebe glaubte“, sagte sein Sohn Chip Carter (74) in der vergangenen Nacht. Worte im Sinne seines Vaters, der einst über Amerika erklärt hatte: „Menschenrechte sind die Seele unserer Außenpolitik, denn Menschenrechte sind die Seele unseres Nationalgefühls.“
Carter und Trump hatten Gemeinsamkeiten
So sehr sich Carters Leben (er wohnte ein Jahr mit seiner Familie in einem Sozialbau) und seine Visionen von Amerika von denen Donald Trumps (78) unterscheiden, so hatten sie einige Dinge gemeinsam.
Als sie erstmals zu Präsidentschaftswahl antraten, glaubte niemand, dass sie gewinnen könnten. Und: Beide versprachen, den korrupten Sumpf in Washington trockenzulegen und Amerika wieder groß zu machen.
Doch das war es auch schon mit den Gemeinsamkeiten des bescheidenen Demokraten, der in einem Haus ohne Strom aufwuchs, und dem milliardenschweren Immobilien-Erben aus New York.
Stationen aus Jimmy Carters Leben
James Earl Carter wurde am 1. Oktober 1924 in Plains (Georgia) als Sohn einer Krankenschwester und Erdnussfarmers geboren.
1943 trat Carter in die US-Navy ein, studierte an der Akademie in Annapolis (Maryland). Dort lernte er seine vor einem Jahr verstorbene Frau Rosalynn kennen, mit der er 77 Jahre verheiratet war und vier Kinder hatte.
Eigentlich wollte er auf der „USS Seawolf“ dienen, dem zweiten Atom-Boot der USA. Doch als sein Vater 1953 starb, übernahm er dessen verschuldete Erdnussfarm.
Während der Rassenunruhen von Georgia entdeckte der religiöse Carter, der in seiner Kindheit viel mit schwarzen Nachbarskindern spielte, dann die Politik. Er trat den Demokraten bei – und wurde 1970 zum Gouverneur gewählt.
Ende 1974 erklärte er dann, dass er ins Weiße Haus will. Amerika fragte lachend: „Jimmy wer?“
Carter galt als chancenlos. Denn seit dem Bürgerkrieg hatte kein Südstaatler mehr das Amt gewonnen. Er war unbekannt, galt als unerfahren und unqualifiziert.
Doch der unbekannte Erdnussfarmer aus Georgia gewann gegen den Republikaner Gerald Ford. Carter gelobte den noch von Vietnam-Krieg und Watergate-Affäre erschütterten Amerikanern: „Ich werde niemals lügen.“ Und er versprach, Amerikas Glauben an sich selbst wiederherzustellen.
Seine turbulente Präsidentschaft
Eines von Carters Zielen war es, nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 endlich einen Frieden zwischen Israel und Ägypten zu sichern.
Nach 14 Monaten Verhandlungen lud Carter im September 1978 Ägyptens Präsident Anwar Sadat und Israels Premier Menachem Begin nach Camp David ein. Dort unterzeichneten sie ein Abkommen, das ein Jahr später zum Frieden führte. Carter erhielt unter anderem dafür 2002 den Friedensnobelpreis.
Es sollte Carters größter und für viele einziger Erfolg sein.
1979 kam es gleich zu zwei schweren Krisen, die bis heute wie ein Schatten über seiner Präsidentschaft liegen.
▶︎ Nach der Flucht des Schahs war die US-Botschaft in Teheran im Iran gestürmt und 52 Amerikaner 444 Tage als Geiseln festgehalten worden. Carter ordnete im April 1980 eine Rettungsaktion ein, die kläglich scheiterte und bei der acht US-Soldaten ihr Leben verloren.
Die Geiseln wurden Minuten vor Ende seiner Amtszeit freigelassen.
▶︎ Der zweite Schatten war die Ölkrise von 1979. Damals verdoppelten sich die Benzinpreise in den USA und die Inflationsrate schoss auf 11,5 Prozent. Carter wälzte die Schuld ab und feuerte gleich sechs seiner Minister. Doch für die Amerikaner stand fest: Die Schuld lag bei Carter.
Folge: Der Demokrat ging bei der Wahl im Herbst 1980 gegen den Republikaner Ronald Reagan sang- und klanglos unter und wurde zu einem „One-Termer“ – einem Präsidenten, der nicht wiedergewählt wurde.
Carter wurde später als „glücklichster unglücklicher Präsident der USA“ beschrieben. Glücklich, weil er 1976 trotz seiner Unbekanntheit gewonnen hatte. Unglücklich, weil er internationalen Ereignissen gescheitert war, für die er nichts konnte.
Carter erkrankte an Krebs
In seinen Jahren nach dem Weißen Haus widmete sich der sichtbar gealterte Carter seiner Farm, schrieb 32 Bücher und baute Häuser für Obdachlose. Je länger er aus dem Amt war, desto beliebter wurde er bei den Amerikanern, die ihn heute als einen der menschlichsten Präsidenten betrachten.
2015 erkrankte er an Hautkrebs, der sich bereits ausgebreitet hatte. Doch nach einer experimentellen Therapie hieß es: Er hat den Krebs besiegt. Vor zwei Jahren kam der Krebs dann zurück.
Das letzte Mal sahen die Amerikaner Carter kurz vor der vergangenen Präsidentschaftswahl. Damals verließ er sein Hospiz in einem Rollstuhl, um seine Stimme für Kamala Harris und gegen Donald Trump abzugeben.
Er hinterlässt vier Kinder, 11 Enkel und 14 Urenkel. Am 9. Januar soll er bei einem Staatsbegräbnis beigesetzt werden. US-Präsident Joe Biden (82) erklärte diesen Tag zum nationalen Trauertag.