Eine Welt ohne George Clooney?

Wir müssen jetzt stark sein. Wir müssen uns eine Filmwelt ohne George Clooney vorstellen. Nix . Vorbei mit dem verschmitzten Grinsen auf der Leinwand. Nie wieder die warme Stimme mit den virilen Basstiefen. Adieu, George, tschüss, Eleganz, lebt wohl, ihr perfekt sitzenden Anzüge!

Wie die Welt der großen Bilder ohne Clooney aussehen könnte, malt sich der Regisseur Noah Baumbach in seinem neuen Film aus (jetzt im Kino, Anfang Dezember auf Netflix). Clooney spielt einen Schauspieler, Weltstar und grau melierten Beau, seit Jahrzehnten im Geschäft – also irgendwie auch sich selbst. Während einer Drehpause denkt dieser Schauspieler darüber nach, seinen Job an den Nagel zu hängen. Er verspürt eine Leere in sich. Seine Töchter, deren Kindheit er verpasst hat, sind erwachsen. Die eine hat sich von ihm gelöst, die andere will vor dem College durch Frankreich und Italien reisen.

Jay Kelly beschließt, sie auf dem Weg zu überraschen. Praktischerweise kann er auf einem italienischen Provinzfestival einen Preis für sein Lebenswerk entgegennehmen. Ein kleiner Ausflug soll es sein, fast inkognito. Wie immer reist er mit Privatjet und Autokonvoi, inklusive Agent (Adam Sandler), Presseagentin (Laura Dern) und weiterer Gewerke. Seine Entourage hat dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht. Was ist echt, und was ist gespielt an ihrer Loyalität und Zuneigung?

zeigt die Sinnkrise eines Stars, der sich so unsterblich wie Gary Cooper und Cary Grant wähnt und doch die eigene Sterblichkeit zu ahnen beginnt. Im Film lässt er sich jeden Morgen von seiner Visagistin die Brauen tuschen. Sein siegessicheres Starlächeln setzt er ein wenig zu breit auf, dann verfällt er in Melancholie. Das Rotweinglas hält er so beiläufig souverän wie in einem Werbeclip – und stolpert im zunehmend verdreckten weißen Anzug durch italienische Wälder. Einmal zwingt Kelly seine Mitarbeiter, mit ihm in einem überfüllten Zug zu fahren, weil er in Kontakt mit echten Menschen kommen wolle. Aber der echte Mensch will gar nicht in Kontakt mit dem Star kommen. Er will ihn um Autogramme bitten, er will ihn anstarren, fotografieren.

Nach und nach wird Jay Kelly von allen verlassen, aber wir, sein Publikum, lieben ihn umso inniger. Für seine Eitelkeit, für seinen Narzissmus, für seine Egozentrik, für seine jungenhafte Unreife, für seine Verletzlichkeit. Auf dem italienischen Festival wird Jay Kelly einen sehr hässlichen Preis entgegennehmen. Vor der Verleihung laufen Ausschnitte aus George-Clooney-Filmen, und man will sie alle noch einmal sehen.

„Krieg ich noch eine?“, fragt Jay Kelly, als bei seinem (vorerst) letzten Film die Klappe fällt. Yeah, noch eine Einstellung! Alles noch mal von vorne aufnehmen. Besser drehen, anders spielen. Und anders leben? Es geht um die verdammte Flüchtigkeit, um die Tatsache, dass wir nichts einholen können, was vorbei ist: entschwunden die nicht mit den Kindern verbrachte Zeit. Vorbei das romantische Rendezvous, bei dem man am Tisch hätte sitzen bleiben sollen, statt das Telefonat anzunehmen. All die großen und kleinen verpassten Chancen. Oder waren es Entscheidungen?

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