Eine moralische Haltung, für die Grüne heute gegeißelt werden

Hyperernst. Sie spricht von Anfang an mit ihrer hellen, sich
überstürzenden Stimme. Es ist diese Frauen­stim­me, der die Regisseurin Doris
Metz im Film Gehör verschaffen will. Sie klingt nach
Zeitdruck – und sie klingt heute aktueller, als es einem lieb sein kann: keinen
Krieg! Keine Mittelstreckenraketen! ­Reden! 

Das waren die Forderungen von Petra Kelly, einer weiblichen
Ikone der Achtzigerjahre: Öko­femi­nis­tin, Pazifistin, Bürgerrechtlerin,
Mitgründerin der Grünen, zu Tränen gerührt in der Ostberliner Marienkirche im
Oktober 1989 angesichts des gewaltlosen Muts der Ostdeutschen, „Ihr seid uns
voraus“. Und eine tragische Figur des Ringens um Gewaltlosigkeit, 1992 getötet
von ihrem Lebensgefährten, einem ehemaligen General. Die Gründe der Tat sind
bis heute nicht eindeutig zu klären.

Die grünen Archive des friedensbewegten Jahrzehnts geben für
diese Dokumentation viele kaum bekannte Quellen her, und Kellys damalige
Freunde kommentieren im Film das kosmopolitische Frauen­leben – der heute
92-jährige Otto Schily im Dreiteiler, die grüne Gründerfigur Eva Quistorp oder
der betagte indigene Umweltaktivist Milo Yellow Hair, ein Lakota, im T-Shirt
mit DDR-Ampelmännchen. Alles alte Leute heute. Es ist bitter, sagt Kellys enger
Weggefährte Lukas Beckmann: Was wir heute über die ökologischen Krisen wissen,
war schon damals bekannt. Passiert ist wenig. Wo ist die kostbare Zeit
geblieben? 

Die Dringlichkeit zu handeln, hat Petra Kelly bereits in den
Siebzigern mit den Winzern in Wyhl beschworen: gegen die Atomkraft, jetzt! In
den Filmaufnahmen von damals reden knarzige ­Bauern über ihre Bewunderung für
diese Frau. In ihrem Beschleunigungston, auf Englisch wie auf Deutsch, spricht
Kelly 1981 vor Hunderttausenden im Bonner Hofgarten, 1985 vor einer
UN-Konferenz, im überfüllten New Yorker Central Park tritt sie mit Bob ­Dylan
und Joan Baez auf, sie redet vor den feixenden Männerkollegen 1983 im Deutschen
Bundestag, sie spricht mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und
hat für ihn gleich ein paar Plakate in einer Tüte dabei: „Schwerter zu
Pflugscharen“, „Lasst den Frieden frei“. 

Überall, wo Petra Kelly auftaucht, sind Kameras, diese
weltläufige Menschenfreundin ist ein Unikum. Oft wirkt sie wie eine Fremde.
Einsam. Was Kelly der Welt, auch wenn die es nicht hören will, mitteilt: Die
Zeit läuft uns davon, wir reden und nichts geschieht. Und redet noch
schneller: Die Welt brennt, und wir sagen, wir ­seien müde, das geht leider
nicht. Ein atomarer Weltkrieg droht, der Energieverbrauch der Reichen lässt für
den Rest der Welt nichts übrig. Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Wer Petra Kelly nur für ihren Moralüberschuss kennt, kann nun lernen: Sie war sich nicht
zu schade fürs Kleingedruckte. Neun Jahre hat sie in der EU-Bürokratie
gearbeitet, 99 Prozent Männer. Ihren Marsch durch die Institutionen hat sie
früh begonnen.

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