Ihre hellen Augen erscheinen erstarrt. Sie schaut stumm in die Kamera, mit einem Blick, der Schmerz und Wut erahnen lässt. Sie sagt kein Wort, zu hören ist nur ihr lauter Atem. Gazelle Sharmahd hat nur wenige Stunden, bevor sie dieses Video auf Instagram veröffentlichte, erfahren, was sie jahrelang gefürchtet hat: Ihr Vater Jamshid „Jimmy“ Sharmahd wurde von der Islamischen Republik Iran hingerichtet.
Seit Juli 2020 kämpfte die 42-Jährige Gazelle Sharmahd um das Leben ihres Vaters. Am 28. Oktober hat sie diesen Kampf verloren. Auf Instagram wirft sie der Bundesregierung vor, ihren Vater im Stich gelassen zu haben. Damit hat Gazelle Sharmahd recht. Die Geschichte von Jamshid Sharmahd steht für das Versagen der deutschen Iranpolitik. Die Ermordung des deutschen Staatsbürgers war eine Katastrophe mit Ansage.
Jamshid Sharmahd wurde 1955 in Teheran geboren und wuchs in Deutschland auf. Die Familie lebte in Hannover. Sharmahd studierte Informatik und arbeitete einige Jahre für Siemens, dann machte er sich selbstständig. Im Jahr 2003 zog die Familie in die USA. Dort leben seine zwei Kinder, Tochter Gazelle und Sohn Shayan, und seine Ehefrau Mehrnoush bis heute. In den USA begann der Unternehmer, sich gegen das iranische Regime zu engagieren. Unter anderem gründete er eine oppositionelle Webseite namens tondar.org, übersetzt: Donner. Auf tondar.org konnten Oppositionelle anonym Texte veröffentlichen. Sharmahd baute auch einen Exilradiosender auf.
Schon im Jahr 2009, das berichtet seine Tochter Gazelle, habe es wegen dieser Regimekritik einen Anschlagsversuch auf Sharmahd gegeben, der wegen einer Intervention der US-amerikanischen Polizeibehörden abgewendet werden konnte. Seitdem, so scheint es, war das iranische Regime entschlossen, Sharmahd zum Schweigen zu bringen.
Denn die Islamische Republik, das muss man wissen, hält sich einzig und allein durch Angst an der Macht. Sie ist darauf angewiesen, dass Iranerinnen und Iraner zu viel Angst haben, sich gegen ihr System aufzulehnen oder es gar zu stürzen. Wer sich offen gegen das Regime stellt, wie Jamshid Sharmahd, darf, der Logik des Regimes nach, unter keinen Umständen davonkommen.
Im Juli 2020 unternahm Sharmahd eine Geschäftsreise nach Indien, mit Zwischenlandung in Dubai. Aus dem Hotel schickte er seiner Familie noch seinen Handystandort, weil sich seine Frau Sorgen machte – zu groß schien ihr die geografische Nähe zu Iran. Sie sollte Recht behalten. Die Revolutionsgarden verschleppten den Regimekritiker aus seinem Hotel und entführten ihn nach Iran.
Seine Tochter, Gazelle Sharmahd, zum Zeitpunkt der Entführung im fünften Monat schwanger, stellte ihr Leben um. Sie kündigte ihren Job als OP-Schwester und kümmerte sich nur noch um die Rettung ihres Vaters. In den sozialen Medien zeigte sie ununterbrochen Bilder und Videos von Sharmahd mit seiner Familie: lachend, umarmend, liebend. Als wollte sie eine Welt zeigen, in der Sharmahd in allererster Linie eines ist: ein geliebter Vater. Gazelle Sharmahd gab Interviews, sprach mit Politikern, ging auf Demonstrationen. Heute ist sie eine der lautesten regimekritischen Stimmen der iranischen Diaspora.
Erzwungene Geständnisse
Sie veröffentlichte auch Bilder ihres Vaters, die zeigen, wie er im iranischen Staatsfernsehen vorgeführt wurde, mit Folterspuren am Körper, offensichtlich traumatisiert. Sie berichtete in deutschen Talkshows, dass ihrem Vater die Zähne ausgeschlagen wurden, er deswegen nicht mehr richtig essen konnte; dass der Parkinsonkranke seine Medikamente nicht bekam. Sie erklärte, dass er zu einem Geständnis gezwungen wurde, wie so gut wie alle politischen Gefangenen im Iran. In der Islamischen Republik gibt es keinen Rechtsstaat. Verurteilt wird auf Basis von vermeintlichen Geständnissen, die durch Folter und Gewalt erzwungen werden.
„Mit der Hinrichtung von Jamshid Sharmahd ist Realität geworden, was ich immer schon vermutet habe“, sagt Mariam Claren. Sie ist die Tochter einer weiteren Deutschen, die die Islamische Republik als Geisel hält. Nahid Taghavi wurde im Oktober 2020 festgenommen und zu elf Jahren Haft verurteilt. Mariam Claren kämpft seitdem, wie Gazelle um ihren Vater kämpfte, um das Leben ihrer Mutter, die fast 70 Jahre alt und im Iran inhaftiert ist. Nach der Hinrichtung von Jamshid Sharmahd sei für sie nun sicher, sagt Claren, dass die deutsche Bundesregierung kein Interesse daran habe, deutsche Staatsbürger zu befreien. Bisher habe sie geglaubt, dass die Regierung es nicht zulassen würde, dass das iranische Regime einen deutschen Staatsbürger ermordet. Sie habe Angst, was das für ihre Mutter bedeuten könne.
Denn die Bundesregierung verweise bei Nachfragen Taghavis stets auf die sogenannte stille Diplomatie, die sie betreibe, um deutsche Staatsbürger aus der Haft zu befreien. Diese Diplomatie sei allerdings so still, dass selbst die nächsten Angehörigen nie etwas mitbekommen würden, sagt Taghavi.
Nach dem Mord an Sharmahd schreibt die Außenministerin Annalena Baerbock auf Instagram, das Auswärtige Amt habe sich unermüdlich für Jamshid Sharmahd eingesetzt. Mehrfach sei ein hochrangiges Team nach Teheran gereist. Dazu veröffentlicht sie ein Porträtbild von Sharmahd, das seine Tochter gemacht hat.